Vortrag „Land.Haus.Gespräch.“ am 3.11.2016
Liest, hört oder sieht man Beiträge in den Medien zur österreichischen Innenpolitik, ist ein klagender – wenn nicht anklagender – Ton nicht zu überhören. „Die notwendigen Reformen müssen endlich angegangen werden!“ erfährt man da. Oder: „Es muss endlich ‚große Würfe‘ geben.“ Oder auch: „Mit dem ewigen ‚Klein-Klein‘ und ‚Hick-Hack‘ der Regierungsparteien können die Herausforderungen der Zukunft nicht bewältigt werden.“
Das dringende Verlangen nach „Reformen“ – vor allem sozialen Reformen - setzt eines unausgesprochen voraus: Reformen sind positiv besetzt, sie sollten gesellschaftliche Verhältnisse zum Besseren verändern. Der Ruf nach Reformen betrifft vor allem unsere heutige Themenstellung, nämlich die dramatische Änderung der Erwerbsarbeit und die damit untrennbar verbundene Frage nach der Zukunft unserer Wohlfahrtssysteme.
Und hier offenbart sich ein Phänomen, das sich wie ein roter Faden auch durch meinen Vortrag ziehen wird. Wenn Reformen eingemahnt werden, zeigt sich, dass es in den einzelnen maßgeblichen gesellschaftlichen Gruppen höchst unterschiedliche Vorstellungen über solche Reformmaßnahmen gibt, die teilweise geradezu entgegen gesetzt sind.
Ich werde dies – der Zeitdisziplin geschuldet – an Hand von ein paar Beispielen zu unserem Thema erläutern.
Ich beginne mit der Arbeitszeit, weil sie geradezu symptomatisch für das steht, was in der öffentlichen Diskussion als „neue Arbeit“ bezeichnet wird.
Bevor ich diese entscheidende Zukunftsfrage anschneide, darf ich kurz einen Blick in die Vergangenheit werfen. Wir müssen uns vor Augen halten, dass noch an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert 72-Stunden-Wochen bei bis zu 14 Stunden pro Tag üblich waren. Die frühen 1. Mai-Feiern der Arbeiterbewegung hatten deshalb ja auch das Ziel, die Arbeitszeit auf acht Stunden pro Tag und damit die brutale Ausbeutung der ArbeitnehmerInnen zu begrenzen.
Nach erheblichen Verkürzungen beschloss – und das ist mir wichtig zu betonen – die konservative Alleinregierung unter Josef Klaus 1969 das neue Arbeitszeitgesetz, das die 40-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich in Etappen bis 1975 einführte. Die Regierung ließ sich dabei gerne von den Sozialpartnern beraten, wobei allerdings auch ein von den Sozialdemokraten– hier im Bild Bruno Kreisky - unterstütztes Volksbegehren mit 900.000 Unterschriften – eines der erfolgreichsten in der Geschichte – seine Wirkung tat. Gleichzeitig wurde auch ein gesetzlicher Mindestzuschlag von 50 % für Überstunden eingeführt.
Seitdem – seit mehr als 40 Jahren also! – hat sich bei der Arbeitszeit nicht mehr Wesentliches verändert, sieht man von manchen Kollektivverträgen ab, die 38,5 oder 38 Stunden pro Woche vorsehen. Dies überrascht doch, ist ja die Produktivität in der Zwischenzeit enorm gestiegen, und zwar um real – also inflationsbereinigt – knapp 80 %. Ja, im Gegenteil: Wir sind gerade dabei, die Lebensarbeitszeit durch die Anhebung des faktischen Pensionsalters zu verlängern.
Wir werden umdenken müssen, zumal – an sich zu begrüßen – mehr und mehr Arbeit wegfällt. Ich denke etwa an die Administrativkräfte/Sekretärinnen, deren Arbeitsplätze aufgrund der Digitalisierung in der Zukunft vielfach verloren gehen werden. Oder auch die Robotisierung vieler Produktionsprozesse, die – ebenfalls zu begrüßen – körperliche – oft auch sehr belastende - menschliche Arbeit ersetzt.
Bei diesen Überlegungen sollten wir bedenken, dass die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit der Vollerwerbstätigen in Österreich 43,5 Stunden pro Woche beträgt, also weit über das gesetzliche Normmaß hinausgeht. In Deutschland beträgt die durchschnittliche Arbeitszeit 41,5 Stunden, in Dänemark 37,8 Stunden. 250 Millionen Überstunden pro Jahr müssen in Österreich geleistet werden, davon 60 Millionen unbezahlt.
Die
einen arbeiten rund um die Uhr, die anderen
erschlägt eine sinnentleerte
Freizeit.
Der Arbeitsforscher Jörg Flecker forderte unlängst in der renommierten deutschen Wochen-Zeitschrift „Die Zeit“ eine Verkürzung der Arbeitszeit auf 30 Stunden. Allerdings geht das nicht im Alleingang in der EU, was der ambitionierte Vorstoß Frankreichs – dort wurde 2000 die 35-Stunden-Woche eingeführt – zeigt.
Die Wochenarbeitszeit ist im Übrigen in Österreich auch deshalb so hoch, weil wir hier sehr konservative Geschlechterrollen haben. Der Wirtschaftsforscher Markus Marterbauer wörtlich: „Der Mann macht Vollzeit mit vielen Überstunden, die Frau schafft neben Haushalt und Kindern höchstens Teilzeit.“ Das erklärt auch teilweise, warum die Lohnschere zwischen Mann und Frau in Österreich größer ist als etwa in Deutschland. (Alle Zitate: Die Zeit 11/2016, 3.3.2016)
Die Logik gebietet es also – und das ist nicht nur die Position der ArbeitnehmerInnen Interessenvertretungen -, sich wieder ernsthaft – so wie in den 70er Jahren – über Arbeitszeitverkürzungen zu unterhalten. Selbstverständlich unter vollem Lohnausgleich, um die höhere Produktivität durch die technischen Errungenschaften weiter zu geben und die Kaufkraft – und damit auch eine prosperierende, wachstumsorientierte Wirtschaft – nicht zu gefährden.
Dem gegenüber fordern andere Interessenverbände ernsthaft, die Arbeitszeit wieder zu verlängern, um „konkurrenzfähig“ zu bleiben. Dazu kommt die gebetsmühlenförmig vorgetragene Forderung nach einer „Flexibilisierung der Arbeitszeit“.
Man muss wissen, dass es nach der Gesetzeslage bereits 13 Möglichkeiten gibt, die tägliche Arbeitszeit auf 12 Stunden auszudehnen. Bei Gleitzeit ist die Grenze von 10 Stunden ohnehin üblich. Man braucht diese großzügigen Grenzen nur ausschöpfen.
Die ArbeitnehmerInnen sind in der Regel auch jetzt schon immer dann am Arbeitsplatz, wenn sie tatsächlich gebraucht werden. In der Diskussion geht es also ganz allein um die Frage der Abgrenzung zwischen Normalarbeitszeit und Überstunden und die damit verbundenen Zuschläge. Mit anderen Worten: Eine Verbilligung der gesellschaftlich ohnehin unerwünschten Überstunden und unterm Strich eine Reduzierung des Entgelts.
Und das bei bereits jahrzehntelang zurückgehenden Lohnquoten. Um also auf den Reformwillen, den ich am Beginn meines Referats angesprochen habe, zurück zu kommen: Wenn es bei diametralen Vorstellungen über soziale Neugestaltung zu einem politischen Patt kommt und gar nichts geschieht, ist dies besser als eine schlechte Reform. Gegenüber sozialem Rückschritt, meine Damen und Herren, ist Stillstand immer noch ein Fortschritt.
Stellt sich also die Frage, warum die enormen Produktivitätssteigerungen seit mittlerweile 40 Jahren bei der Arbeitszeit und im Übrigen auch – darauf werde ich noch zurückkommen – im Rahmen der sozialen Verteilungssysteme nicht mehr weiter gegeben werden. Mit anderen Worten: Die Menschen davon konkret kaum oder gar nicht profitieren. Dies hängt – um mit dem italienischen Philosophen Antonio Gramsci zu sprechen – mit einem Wechsel in der gesellschaftlichen Hegemonie zusammen.
Der Neuanfang nach 1945 brachte das, was wir auch heute – manche etwas nostalgisch – die „Soziale Marktwirtschaft“ nennen. Sie war – und das ist ausschlaggebend – sowohl von der konservativen als auch der sozialdemokratischen Politik getragen. Die einen sahen ein, dass der ungezügelte Kapitalismus unmittelbar in Diktatur und Krieg geführt hatte, die anderen verzichteten auf ihren revolutionären Gestus, weil das Ziel des umfassenden Sozial- und Wohlfahrtsstaates auch auf dem Wege der Verhandlungen – also einer reformistischen Politik – zu erreichen war. Hier im Bild Adolf Schärf und Leopold Figl, maßgebliche Protagonisten dieser Konsenspolitik.
Dieser gedeihliche Prozess dauerte ungebrochen bis Anfang der 80er Jahre, dann begannen sich neoliberale Konzepte durchzusetzen. Sie sahen im Sozial- und Wohlfahrtsstaat den erklärten Gegner, stattdessen wurde ungezügelte Marktwirtschaft propagiert. Die Ideen waren alles andere als neu, sie setzten viel mehr an den – eben erst überwunden geglaubten – wirtschaftswissenschaftlichen Vorstellungen der 1930er Jahre an. Die Vorstellung des sogenannten „Trickle-down“ wurde geradezu zum religiösen Credo. Demnach könne man ohne weiteres an der ökonomischen Spitze unermesslichen Reichtum zulassen, würde dieser doch von selbst nach unten sickern und auch die ärmsten Bevölkerungsschichten erreichen.
Diese krause Idee ist natürlich völlig gescheitert. Es „trickled“ – um etwas salopp zu formulieren, meine Damen und Herren – wenig bis nichts. Die Schere zwischen Arm und Reich, die sich bis Ende der 70er Jahre mehr und mehr geschlossen hatte, öffnete sich wieder schnell und stetig.
Selbst der Papst Franziskus hat das „Trickle-down-Prinzip“ in seinem apostolischen Schreiben vor einiger Zeit scharf kritisiert. Er wurde daraufhin in den – nicht nur neoliberalen – Medien als „Klassenkämpfer“ und „Sozialrevolutionär“ beschimpft, was uns von den Arbeitnehmerinteressenvertretungen schon ein wenig amüsiert, meine Damen und Herren, weil üblicherweise wir mit diesen Attributen bedacht werden. Tut sich dawomöglich eine neue „heilige“ – manche werden meinen eine „unheilige - Allianz“ auf?
Kommen wir zurück zur „neuen Arbeit“. Es zeigt sich, dass der Wandel in der Arbeitswelt durch den technischen Fortschritt und den in größeren Einheiten wesentlich leichter gewordenen Austausch von Waren und Dienstleistungen sich nicht in neuen – „normalen“ –Arbeitsverhältnissen niederschlägt, die gut abgesichert sind durch das verbindliche Arbeitsrecht und insbesondere kollektivvertragliche Mindestentgelte.
Stattdessen boomen sogenannte „neue Selbstständige“ – „Ich-AGs“ –, die als Werkvertragsnehmer oder „freie Dienstnehmer“ arbeiten und vielfach armutsgefährdet sind. Untersuchungen aus Deutschland zeigen, dass es dort etwa nach einer Lockerung der Gewerbeordnung nahezu keine Fliesenleger in einem „normalen“ Arbeitsverhältnis mehr gibt. Die sind alle selbstständig, arbeiten rund um die Uhr und erwirtschaften wesentlich weniger Einkommen als früher. Von der sozialen Absicherung ganz zu schweigen.
Es muss uns gelingen, als ersten Schritt die „freien Dienstverhältnisse“ wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Dabei handelt es sich um Menschen, die zwar in keiner persönlichen, aber doch starken wirtschaftlichen Abhängigkeit zu arbeiten haben.
Sozialversicherungsrechtlich sind sie bereits den „normalen“ ArbeitnehmerInnen gleichgestellt – eine große Errungenschaft von 2008. Wenn man will, geht ja doch etwas.
Es wird aber notwendig sein – meinetwegen in Etappen – diese Free-Lancer wieder an das Arbeitsrecht anzubinden. Denkbar wäre vorerst eine Ausdehnung der Geltung der kollektivvertraglichen Mindestentgelte in Form einer besonderen „Allgemein-Verbindlich-Erklärung“ auch auf diese prekären Arbeitsverhältnisse. Dabei wären die Tarife für „normale Arbeitnehmer“ natürlich „aufzufetten“, also ein Aufschlag zu gewähren, weil derzeit freie ArbeitnehmerInnen keinerlei Entgeltfortzahlung bei Urlaub oder Krankenstand genießen.
Die Anbindung der „atypischen Arbeitsverhältnisse“ an das Arbeitsrecht wird umso notwendiger sein, als sich Arbeit und Kapital immer stärker über elektronische„Plattformen“ austauschen werden. Das sogenannte „Crowd-Working“ ist erst der Anfang. Detailliert umrissene Werkaufträge werden über Internet angeboten, der billigste oder schnellste Werkvertragsnehmer erhält den Zuschlag. Wie sich hier das Entgelt aufgrund des offensichtlichen Machtgefälles gestalten wird – der Auftraggeber hat die Auswahl, der Auftragsnehmer muss sein Essen und seine Miete bezahlen –, will man sich gar nicht ausmalen.
Neue Arbeit der Zukunft bedeutet aber auch, dass diese immer stärker grenzüberschreitend geleistet werden wird. Ein Einfallstor für die Erosion von Lohn- und Sozialstandards. Sicher, wir haben in Österreich ein vorbildliches Gesetz, das sämtliche tarifgebundene Entgelte auch für die nach Österreich überlassenen und entsendeten ArbeitnehmerInnen sichern und unsere rechtstreuen heimischen Betriebe vor unzulässiger Konkurrenz schützen soll.
Die Praxis, meine Damen und Herren, sieht freilich anders aus, wovon gerade steirische ArbeitnehmerInnen und Unternehmen – vor allem in der Bauwirtschaft – ein Lied singen können. Die Zustimmung der Sozialpartnerschaft zur Öffnung des Arbeitsmarktes für ost- und südosteuropäische EU -Mitgliedsstaaten 2011 und 2014 setzte ja voraus, dass dort ernsthafte Bemühungen gesetzt werden, Sozial- und Wohlfahrtsstaaten zu errichten und damit das soziale Gefälle zu verringern.
Derzeit freilich eine völlige Illusion. Ich bin vor drei Wochen von einer Studienreise in den Balkan zurückgekommen. Von sozialer Marktwirtschaft – Grundlage eines Wohlfahrtsstaates – keine Spur. Stattdessen neoliberale Ellbogen-Kultur. Beachtliche 6 % Wirtschaftswachstum etwa in Rumänien im letzten Jahr, die „gewöhnlichen“ Menschen profitieren davon nicht.
Im regnerischen Sofia ein – auf gut steirisch – Mistkübelstirler neben dem anderen. Hier im Bild – ebenfalls Sofia – eine betagte Dame, die gerade ausgelegtes Taubenfutter vom schmutzwassergetränkten Zeitungspapier abkratzt. Wenn Sie so wollen, meine Damen und Herren, auch ein funktionierendes soziales Umlageverfahren: Die einen streuen – wenn schon nicht aus spezieller Menschenliebe, so doch aus Mitleid mit der Kreatur – Futter aus, die anderen sammeln es ein, um sich zu Hause ihr Müsli anzusetzen.
Und was ist das hier, meine Damen und Herren? Es ist ein Krankenhaus, ebenfalls für minderbemittelte Seniorinnen in Belgrad, im EU- Schwellenland Serbien.
Aber bitte, der Unterschied zu reicheren, aber ebenfalls neoliberal und sozial wenig ausgewogenen Ländern wie die USA, ist vielleicht ein entschieden gradueller, aber kein prinzipieller. Hier im Bild ein Krankenhaus im schönen Jackson/Wyoming, das mir ein befreundeter Primararzt übermittelt hat. Sieht auch nicht viel einladender aus.
Wenn die Lohnkosten durch Unternehmen aus Dumping- Staaten systematisch unterlaufen werden, kann das System nicht funktionieren. Umso mehr dann, wenn die von den Arbeitnehmer-Interessenvertretungen eingeklagten Differenzzahlungen wegen Lohndumping exekutiv in einzelnen Ost-Staaten nicht durchsetzbar sind. Ungarn etwa entwickelt sich nicht nur zu einer antidemokratischen Gesellschaftsform, sondern demontiert auch seinen Rechtsstaat.
Die Lösung des Problems kann nicht eine neuerliche Abschottung sein – die europäischen Grundfreiheiten sind ein hohes Gut –, aber es ist massiv gegenzusteuern. Als erster Schritt sollten Sozialversicherungsbeiträge von der ersten Stunde in dem Land bezahlt werden, in dem die Arbeitsleistung tatsächlich erbracht wird. Darüber hinaus ist ein Haftungsfonds zugunsten geschädigter ArbeitnehmerInnen anzudenken, der sich aufgrund einheitlicher Rechtsdurchsetzungsstandards beim Schädiger regressieren kann. Und: Kontrollen, Kontrollen, Kontrollen! Jeder Mitarbeiter der Finanzpolizei zusätzlich schützt die rechtstreue Wirtschaft!
Damit sind wir, meine Damen und Herren, bei den sozialen Sicherungssystemen, die unmittelbar mit „Neuer Arbeit“ in Verbindung stehen. Österreich hat – wie andere Staaten des sogenannten Kerneuropas auch – im Rahmen der „sozialen Marktwirtschaft“ ein bemerkenswertes Netz an sozialer Sicherheit vor den Risiken Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit und Alter geschaffen. Dazu eine Grundsicherung für jene Menschen, die selbst durch dieses Netz fallen.
Konkreter kann ich hier nur die – das sei der Zeitdisziplin geschuldet – die Pensionen ansprechen, weil gerade sie – neben der Mindestsicherung – am stärksten in Diskussion gezogen sind.
Zur Mindestsicherung nur so viel: Ein wichtiges und richtiges Instrument, wobei Adaptierungen immer sinnvoll sein können. Etwa Sach- statt Geldleistungen dort, wo keine Stigmatisierungen entstehen.
Und vom Volumen sollte diese für den sozialen Frieden so wichtige Einrichtung ohnehin völlig außer Frage stehen. 673 Millionen Euro waren es im Jahr 2015 in ganz Österreich, bloß 0,8 % des gesamten Sozialaufwandes. Nicht wenig Geld, ich will das nicht klein reden, aber nicht die große Affäre, die die aktuelle emotionale – und teilweise von Neid und Missgunst getriebene – Diskussion rechtfertigen könnte.
Ohne polemisieren zu wollen: Allein die – selbstverständlich notwendige – Bankenrettung hat – je nach Rechnungsart – 12 bis 18 Milliarden Euro verschlungen. Das ist wirklich im Lichte des sozialen Friedens keine Relation.
Und wenn wir schon die Schutzsuchenden angesprochen haben. Es ist gut und richtig, dass sich Asylsuchende ein Zubrot für gemeinnützige Arbeit verdienen können. Aber bitte nicht 1 Euro oder 2 Euro 50 es darf – im österreichischen Kommerzdeutsch formuliert – „a bisserl mehr sein“.
Nun aber zu den Pensionen:
Vorerst ist zu bemerken, dass man am bewährten Umlageverfahren jedenfalls festhalten sollte. Umlagefinanzierung bedeutet, dass die Einnahmen aus den Beiträgen der Aktiven und der Anteil aus den Steuern unmittelbar ausbezahlt werden. Im Gegensatz dazu werden im kapitalgedeckten System die Beiträge am Markt veranlagt, in der Hoffnung, dass „das Geld arbeiten“ möge.
Beispiele, in denen versucht wurde, das Umlagesystem durch ein Kapitaldeckungssystem zu ersetzen oder zu ergänzen – etwa in Polen, aber auch in Deutschland – zeigen ein desaströses Bild. Agnes Streissler-Führer, die erfreulicher Weise an der heutigen Diskussion teilnehmen wird und die ich hier zitieren darf, kommt bei ihren stimmigen Untersuchungen über das Kapitaldeckungssystem zu einem ernüchternden Resümee: „Es ist wie beim Roulette: Im Regelfall gewinnt die Bank.“
Oder wie der Investment-Banker Wolfgang Flöttl bei seiner gerichtlichen Einvernahme so treffend – und so beruhigend – formulierte: „Das Geld ist nicht verloren, Frau Rat, es hat nur ein anderer.“
Und dann freilich die Demografie: Es ist natürlich richtig, dass aufgrund der – an sich erfreulichen – Alterung der Gesellschaft immer weniger Erwerbstätige immer mehr ältere Menschen finanzieren müssen.
Wie Berechnungsmodelle unserer Experten Josef Wöss und Erik Türk allerdings zeigen, ist weniger die Demografie als die sogenannte Abhängigkeitsquote aussagekräftig. Und die ist bereits derzeit sehr hoch: Auf 100 Erwerbstätige kommen 65 Leistungsbezieher wie Pensionisten und Arbeitslose.
Diese Abhängigkeitsquote wird durch die Alterung der Gesellschaft naturgemäß steigen, der Anstieg kann jedoch durch eine Hebung der derzeit sehr bescheidenen Beschäftigungsquote in den nächsten Jahrzehnten gebremst werden.
Das derzeitige Umlagesystem, das Antrittsalter und die Höhe der Pensionen können in Zukunft jedenfalls aufrechterhalten werden, wenn der Arbeitsmarkt gestärkt wird.
Die notwendige Erhöhung der Beschäftigungsquote ist durch verbesserte Arbeitsbedingungen, Zurückdrängung der Überstunden und Minijobs, verstärkte arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wie Aus- und Weiterbildung, einen vernünftigeren Umgang mit älteren ArbeitnehmerInnen, flächendeckenden und qualitativ hochstehenden Kinderbetreuungseinrichtungen und Ganztagsschulen und schließlich der Zurückdrängung der ungewollten Teilzeit – eine „Armutsfalle“ vor allem für Frauen – gewiss zu schaffen.
Schon im Jahr 1959 – also vor fast 60 Jahren – prophezeiten im Übrigen einige Medien dem österreichischen Pensions-System den baldigen Zusammenbruch. Heute lebt es immer noch und sichert den älteren Menschen im Wesentlichen den gewohnten Lebensstandard. Panik ist also unangebracht, sogenannte „Reformen“, die auf Zerschlagen und Kürzen aus sind, sind entschieden abzulehnen.
Wie Sie der Tabelle hier im Bild entnehmen können, liegt der Aufwand der Bundesmittel zur Pensionsversicherung – ohne Beamte - 2010 exakt auf dem Wert von 1985, nämlich – nach einer vorübergehenden Senkung dazwischen – bei 3% des Bruttoinlandsprodukts.
Wer den PensionistInnen weniger vom Kuchen zubilligen will, soll dies offen aussprechen.
Und schließlich wird man ernst und sachlich – und abseits von irgendwelchem ideologischen Geplänkel – überlegen müssen, mit welchen Steuern und Abgaben man in Zukunft die sozialen Sicherungssysteme finanzieren will. Ich sage es klar und deutlich: Nicht mehr Steuern und Abgaben, sondern andere Steuern und Abgaben.
Mehr vermögensbezogene Belastung – Österreich ist da ohnehin Schlusslicht in der zivilisierten Welt -, weniger einkommensbezogene Belastung. Abgaben weniger auf Arbeit und mehr auf Wertschöpfung insgesamt. Das derzeitige System ist voller Anreize, gerade nicht in Unternehmen zu investieren, in denen Jobs erhalten oder geschaffen werden.
Und einmal mehr zur Klarstellung und zur Aufhellung nach den schon institutionalisierten Nebelgranaten: Es geht nicht um eine „Maschinensteuer“, weil nicht Investitionen besteuert werden sollen, sondern im stärkeren Maße Wertgewinne gegenüber bloßer Arbeit.
Es sind immer die Versuche, die einen sicher machen. Probieren wir es beim Familienlastenausgleich – einem kleinen Teil