Das Ferrarirote speit Gift und Galle. Die Sonne scheint, die Vögel singen, der Trainer radelt. Nicht das Ferrariote, allerdings, sondern das Giftgrüne. Wegen der Geländegängigkeit. Behauptet er halt, der Verräter. Papperlapapp. Schon mal was von Gravel gehört?
Das Ferrarirote zittert. Im Stall. Vor Zorn und Kränkung. Und zählt die eigenen Vorzüge auf: bequemer im Sitz, leichtläufiger und viel viel röter. Und überhaupt. Immerhin hat er viel schwitzen müssen, der illoyale Opportunist, hat das Ferrarirote nach dessen Rückkehr, mit tröstlicher Genugtuung erfahren dürfen. Hochsommerliche dreiunddreißig Grad und knapp tausendzweihundert Höhenmeter waren´s hinauf aufs Rennfeld. Das einzige Ferrarirote, das da den Trainer noch halbwegs als Mann von Geschmack hätte ausweisen können, war nun sein verschwitztes Leiberl.
Das Rennfeld ist der Hausberg der Brucker. Der Kapfenberger, der Pernegger. Und ganz oben steht das Kernstock-Haus. Das Giftgrüne, und das wurmt das Ferrarirote besonders, darf für das Fotoshooting auf den Tisch. Das so was ein halbwegs korrekter Hüttenwirt überhaupt erlaubt! O tempora, o mores. Das hätte das Ferrarirote nie dürfen, ist das Ferrarirote überzeugt.
Der Name Kernstock für die Hütte eines renommierten Alpenvereins, erklärt der Trainer dem freundlichen Hüttenwirt freundlich, sei jetzt nicht so ganz ideal. Weil, der Otto, später Ottokar, Kernstock, sei nicht wirklich ein Menschenfreund gewesen. Zumindest habe er, der Pfarrer von der Festenburg, da seine Unterschiede gemacht. Zwischen dem Menschen einerseits und dem Menschen andererseits: zwischen den geraden und die ungeraden. Die ungeraden Menschen, hat ihm seine Ideologie gesagt, waren jene, die halt nicht so sein wollten wie er selbst: so heimattreu. Und so heterosexuell. Und so konservativ-hausbacken deutschnational. Oder er war, der Mensch, charakterlich völlig verwachsen, gar ein Zigeuner oder – Gott mag behüten! – ein Sozi oder Kommunist.
Für die geraden Guten hingegen hat der Ottokar nicht nur von der Kanzel schön gesprochen, sondern gerne auch mal was geschrieben. Für die Nazis das klangvolle Hakenkreuzlied, und im Weltkrieg, wohl behütet aus der Etappe, hat er seine erbauliche Poesie erst so richtig entfalten dürfen: Steirische Holzer, holzt mir gut – mit Büchsenkolben die Serbenbrut!
Selbst hat der gute Ottokar die süßen Früchte seines erhabenen Schaffens allerdings nicht mehr erleben dürfen. Aber, immerhin: Seine Geisteswelt, die er gemeinsam mit seinen Kameraden gebaut hat, haben sowohl dem Austrofaschismus als auch dem Nationalsozialismus ein solides Fundament gegeben.
Der Wirt ist interessiert, freilich aber nicht zuständig. Das war allen von vornherein klar. Der Trainer, geübt im Bohren harter Bretter, wird gemeinsam mit den überparteilichen Vertretern jener Opfer, die nicht zuletzt auch der gute Ottokar mit seiner Geisteshaltung in die Kriege, in die Folterverliese, zuletzt in die Konzentrationslager geschickt hat, dem Alpenverein einen Vorschlag schicken. Die Bitte: entweder die Hütte umbenennen oder aber eine Informationstafel anbringen.
Schon 1951, als man nach einem Brand das Haus wieder aufgebaut und eingesegnet hat, hätte man bereits ein Zeichen setzen können. Damals, sechs Jahre nach Beendigung der Terrorherrschaft, hätte man es schon besser wissen können. Aber eben nicht wollen. Stattdessen schrieb man einfach drüber: Neues Kernstock-Haus. Auch ein Zeichen. Für eine Zukunft, die die alte war.
Ein paar Schritte weiter haben sich die ewig-gestrigen Kameraden, unbeeindruckt von diesem politischen Supergau, unberührt von jeglicher Einsicht, nochmals verewigt. Am unmittelbaren Gipfelplateau steht ein Monstrum von einem Kreuz. Da steht drauf: den Gefallenen beider Weltkriege.
Dass die toten Soldaten, die für Hitler in dessen Angriffskriege gezogen sind, mit Begeisterung oder gezwungen, einen Ort der Erinnerung haben sollen, ist unbestritten. Aber so einen? Dieses Manifest der Heldenverehrung, ohne jegliche Selbstkritik? Ohne den kleinsten Hinweis, welch` unendliche Leiden dieser Hornissenschwarm an Helden über Europa gebracht hat? Die Heimat haben sie verteidigt? Welche? Österreich wohl nicht.
Der Trainer will heim, allerdings nicht ins Reich. Er schiebt das Giftgrüne abwärts. Der Güterweg hat hier die Qualität einer Kraterlandschaft, man könnte ohnehin nur im Schritttempo fahren. Hat auch sein Gutes, das Schieben. Bei höherer Geschwindigkeit wären Giftgrünes samt Trainer wohl gegen die Wand gekracht. Ein fortähnliches Bauwerk, vom Großgrundbesitzer quer über die Straße gezogen, ragt in den Himmel. Damit die anmaßenden Mountainbiker, die Erholung in der Natur nach ihrer Art suchen, nicht in den selben wachsen.
Das Bollwerk ist genial angelegt. Das hätte der Festungsbauer seiner Majestät Sonnenkönig Ludwig XIV., Sébastien le Prestre de Vauban, nicht besser hingekriegt. Links und rechts kaum ein Durchkommen. Der Trainer muss weit abklettern, und dann wieder rauf. Das Giftgrüne, dankbar, dass es auch einmal mit hat dürfen, hilft brav mit. Es lässt sich wuchten, tragen, ziehen. Nur ganz selten verkeilt es sich. Auf der anderen Seite der hölzernen Festung muss der Trainer dann ein bisserl schnaufen. Und fluchen.
Da kommen zwei Mädels. Mit gut eingespielter Leichtigkeit heben und schubsen sie ihre Räder über das nahezu zweieinhalb Meter hohe Hindernis. Intelligent, fit, nimble, quick. Das Giftgrüne merkt dem Trainer an, es hat ihn jetzt ein wenig der Neid gepackt. Er, der untadeligste Feminist, bis in die letzte seiner maskulinen Fasern, hat es ohnehin immer vermutet: Die Zukunft ist weiblich. Na gut, jetzt weiß er´s auch.
Sorgen macht ihm allerdings anderes. Der Trainer, historisch nicht unbeleckt, denkt an die Debatten zur Verstaatlichung vor und nach dem zweiten Weltkrieg. Und an den ausgewogenen Kompromiss, damals. Die Großgrundbesitzer durften ihre „Herrschaften“ weitgehend behalten, dafür sollte das „gemeine Volk“ möglichst freien und unbeschränkten Zugang zu den Wäldern erhalten. Für die Erholung. Für´s Schwammerlsuchen, für´s Beerenpflücken.
Auch wenn kein Eigentümer über die Beschränkung seines Eigentums froh sein kann, stehen die meisten hinter dieser schonenden Einigung. Es hätte schlimmer kommen können. Einige von ihnen hingegen, man blicke nur auf dieses Machwerk, führen sich auf wie die unbelehrbarsten Heimwehrgrafen des Austrofaschismus.
Was hätte wohl Marlene Haushofer, empathische Humanistin und Autorin der Weltliteratur „Die Wand“, zu diesem Monument der Überheblichkeit und Selbstvermessenheit gesagt? Brett vor dem Kopf?