Vortrag am 11.5.2017
Am 11. Februar 1934 – Faschingsonntag – schreibt Richard Bernaschek, Landesleiter des Republikanischen Schutzbundes in Oberösterreich, einen verhängnisvollen Brief: „Wenn morgen, Montag, in einer oberösterreichischen Stadt mit einer Waffensuche begonnen wird oder wenn Vertrauensmänner der Partei bzw. des Schutzbundes verhaftet werden sollen, wird gewaltsam Widerstand geleistet und in Fortsetzung des Widerstandes zum Angriff übergegangen werden. Dieser Beschluss sowie die Durchführung ist unabänderlich. Wir erwarten, dass, auf unsere telefonische Mitteilung nach Wien ‚Waffensuche hat begonnen, Verhaftungen werden vorgenommen‘, Du der Wiener Arbeiterschaft und darüber hinaus der gesamten Arbeiterschaft das Zeichen zum Losschlagen gibst. Den Parteivorstand hier habe ich von diesem Beschluss nicht verständigt. Wenn die Wiener Arbeiterschaft uns im Stich lässt, Schmach und Schande über sie.“
Der Brief war an Otto Bauer, den stellvertretenden Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs, gerichtet. Durchschläge ergingen an den Gewerkschaftschef Johann Schorsch und an den früheren General und Berater des Schutzbundes Theodor Körner.
Die Nachricht offenbart vor allem eines: Den Frust und das Unverständnis der Sozialdemokraten in der Provinz gegenüber der Wiener Parteileitung, die sich zu einem energischen Einschreiten gegen die diktatorischen Anmaßungen der Regierung Dollfuß nicht durchringen konnte.
Schon bei der Ausschaltung des Nationalrats und der Auflösung des Republikanischen Schutzbundes, der 1923 als paramilitärischer Verband der Sozialdemokratie zum Schutze der demokratischen Republik als Gegengewicht zu den autoritären Heimwehren gegründet worden war, hatten sich führende Stimmen in den Bundesländern dafür ausgesprochen, sofort den Generalstreik auszurufen.
Zu dieser Zeit war die Empörung in der Bevölkerung über den Verfassungsbruch noch groß, auch verfügte man über einen entsprechenden Rückhalt in den Belegschaften der größeren Betriebe, insbesondere in der Eisenbahn, ohne deren Mitwirkung ein Generalstreik kaum gelingen konnte.
Neben den oberösterreichischen waren es vor allem die steirischen Sozialdemokraten, die eine scharfe Reaktion auf die beginnende Etablierung des Austrofaschismus einforderten. Am 16. März 1933 schreibt Koloman Wallisch, Abgeordneter zum Nationalrat und Landesparteisekretär in der Steiermark, an das Sekretariat der Sozialdemokratischen Partei in Wien:
„Als ich in der Nacht vom 15.3. von Wien zurückkehrte, fand ich eine große Zahl heftig diskutierender Genossen, denen das Vorgehen der Sozialdemokratischen Partei unverständlich war. Ein großer Teil unserer Genossen wünscht, dass die Entscheidung nicht auf die lange Bank hinausgeschoben wird, da ansonsten bei uns das Gleiche zu befürchten ist, was in Deutschland geschehen ist, nämlich dass der aktive Teil des Proletariats sich zurUntätigkeit entschließt und den Dingen freien Lauf lässt.“
Die zögerliche Haltung der Wiener Parteileitung war verständlich. Ein Generalstreik musste möglicherweise mit militärischer Gewalt abgesichert
werden, die Verantwortung für ein Blutvergießen wollte man nicht übernehmen. Darüber hinaus hatte man in Wien viel zu verlieren. Anders als in den übrigen Bundesländern war es der Stadtverwaltung gelungen, zahlreiche soziale Reformen durchzusetzen, die bundesweit erst nach 1945 im Rahmen der „sozialen Marktwirtschaft“ gelingen sollten:
Ein umfassendes Fürsorgesystem, ein sozialer Wohnbau, der große internationale Anerkennung erfuhr, ein vorbildliches Bildungssystem auch für unterprivilegierte Schichten. Es war völlig klar, dass ein negativer Ausgang einer konfrontalen Auseinandersetzung mit dem Regime nicht nur das Verbot der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs nach sich zöge, sondern auch das Erfolgsprojekt „Rotes Wien“ beenden würde.
Sicher, auch der Parteizentrale in Wien dämmerte es langsam, dass die Chancen für die Abwendung einer Diktatur und einen Erhalt der politischen Partizipation, die sich die Arbeiterbewegung in einem Dreiviertel- Jahrhundert erkämpft hatte, immer geringer wurden. Anfang Jänner 1934 fand eine Konferenz des illegalen Schutzbundes statt, an der Otto Bauer, der Bundesleiter des Schutzbundes, Julius Deutsch und jene militärischen Führer teilnahmen, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht verhaftet waren.
In seiner Rede äußerte Otto Bauer die nachvollziehbare Befürchtung, dass es die Regierung auf Waffengewalt ankommen lassen werde. Alle Indizien sprächen dafür. Der in dieser Sitzung beschlossene Alarmplan zeigt, dass man sich auf die Auseinandersetzung zwar mangels ernsthafter Alternative einlassen werde, aber die Niederlage um vieles wahrscheinlicher sei als ein Sieg.
Nach der Ausrufung des Generalstreiks sei der Schutzbund zu mobilisieren. Dieser solle aber 12 Stunden in Ruhestellung verharren und sich nur verteidigen, wenn er angegriffen wird. Man wollte die Reaktion der Regierung und die Wirkung des Generalstreiks abwarten. Ein Fünkchen Hoffnung auf ein Einlenken der Regierung Dollfuß also glomm offensichtlich doch noch.
Erst nach Abwarten dieser Frist sollten Polizeikasernen und weitere staatliche Dienststellen besetzt werden - Aktionen, die innerhalb von 24 Stunden beendet sein müssten. Inzwischen sei eine sozialdemokratische Regierung zu bilden, die die Regierungsmacht ausüben werde.
Die zentrale militärische Leitung der Aktion sollten Julius Deutsch, der Stratege des Schutzbundes Alexander Eiffler, der Kommandant der Wiener Stadtwache und Waffenreferent Rudolf Löw und Karl Heinz politischer Sekretär des Republikanischen Schutzbundes in der Wohnsiedlung Washington- Hof/Ahornhof in Wien-Favoriten bilden. Die politische Verantwortung für diesen äußerst defensiv – man könnte durchaus auch sagen: defätistisch - ausgerichteten Einsatzplan übernahm Otto Bauer selbst.
Das Moment des Handelns lag aber mittlerweile bereits nahezu ausschließlich beim Regime und den Heimwehren. Regie führte der neue Sicherheitsminister – Chef von Polizei und Gendarmerie – und Heimwehrführer in Wien Emil Fey. Das Jahr 1934 hatte mit umfangreichen Waffensuchungen in sozialdemokratischen Parteihäusern und Verhaftung der militärischen Führung des illegalen Schutzbundes begonnen. Major Alexander Eiffler und Hauptmann Rudolf Löw wurden am 3. Februar 1934 festgenommen, bald waren nahezu alle Wiener Bezirkskommandanten interniert.
Immer noch zögerte die Zentrale der Sozialdemokratie in Wien den Generalstreik auszurufen. Mit Recht wohl. Denn ob ein Generalstreik tatsächlich zum Einlenken der Regierung oder gar ein sofortiger Waffengang zu einem Sieg der verfassungstreuen Kräfte geführt hätte, darf bezweifelt werden. Bereits Anfang 1933 hatte Dollfuß im Vorstand der christlich-sozialen Partei keine Zweifel gelassen, dass er zum Äußersten entschlossen war. „Wenn die Sozi [...] Dummheiten machen, werden wir mit aller Brutalität vorgehen. In den nächsten fünf Minuten ist das Standrecht in Österreich.“
Schon allein aus diesem Grunde geht der früher mitunter erhobene Vorwurf – heutzutage ist er kaum noch zu hören - , die Sozialdemokratie habe Mitschuld an der Errichtung der Diktatur und an den Opfern des sogenannten Bürgerkriegs, weil sie gegen die ersten Verfassungsbrüche im März 1933 nicht heftig genug aufgetreten sei, ins Leere. Sie hat sich eben für das Verhandeln entschieden, sie „bettelte“ geradezu um den Erhalt des demokratischen Rahmens und ihr eigenes Überleben. Der Vorhalt dieser „Appeasement-Politik“ erinnert an den immer wieder erhobenen Vorwurf an ein Vergewaltigungsopfer, es hätte sich nicht rechtzeitig und ausreichend gewehrt und damit die Straftat mitverschuldet.
Der Unmut in den Bundesländern wurde immer heftiger, die Parteiaustritte einer enttäuschten Anhängerschaft der Sozialdemokratie beschleunigten sich, der Zustand der Gesamtpartei war nahezu desaströs. Das Fass zum Überlaufen brachte der staatsstreichartige Versuch der Heimwehr Ende Jänner und Anfang Februar 1934, die Macht in den Bundesländern zu übernehmen und jene Sozialdemokraten, die noch in den Landesregierungen saßen, zu eliminieren.
Bereits zuvor – mit Jahresende 1933 - hatte das Dollfuß- Regime die demokratische Mitbestimmung in den Arbeiterkammern beseitigt und damit den freien Gewerkschaften eine faire Partizipation an der Gestaltung des Arbeits- und Wirtschaftslebens genommen.
Ziel der Regierung Dollfuß und der Heimwehren war es, die demokratische Opposition – somit die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs, die 1930 bei den letzten freien Wahlen vor 1945 als stärkste Partei noch 41,1 % der Wählerstimmen erreicht hatte - endgültig auszuschalten. Damit sollte auch eine Vorgabe Benito Mussolinis, dessen „Fascisierung“ einer Gesellschaft Vorbild war, zu erfüllen.
Richard Bernaschek, ein bekannter Heißsporn und ein politisch und moralisch unsteter Charakter, wollte sich also mit Waffengewalt wehren, Otto Bauer aber abwarten. Als Bauer den Brief Bernascheks erhielt, antwortete er mit einem verschlüsselten, aber für Eingeweihte völlig verständlichen Telegramm: „Tantes Zustand fast hoffnungslos. Verschiebe deshalb die Operation bis zum Ärztekonsilium Montag.“
Die Polizeizensur hielt das Telegramm zurück. Ein verschlüsseltes Telefongespräch, in dem ebenfalls eine Abstandnahme vom oberösterreichischen Vorhaben gefordert wurde – „das Befinden des Onkels Otto und der Tante wird sich erst morgen entscheiden“ – wurde von der Behörde abgehört. Die Regierung war somit vollständig informiert.
Auf den Widerstand des Schutzbundes hatten Engelbert Dollfuß und Emil Fey nur gewartet. Ein neuerliches Zurückweichen der Sozialdemokratie passte nicht ins Konzept. Siegessicher verkündete Emil Fey am Vorabend des 12. Februar 1934 am Schluss einer Gedenkrede für die Opfer des Weltkrieges im niederösterreichischen Großenzersdorf: „Wir werden morgen an die Arbeit gehen, und wir werden ganze Arbeit leisten.“
In diesem Lichte liegt die Hauptverantwortung für die nachfolgenden schicksalsschweren Ereignisse – wie Ernst Hanisch, der Salzburger Historiker, lapidar feststellt – eindeutig bei Emil Fey und Engelbert Dollfuß. Damit ist den beiden und ihren autoritären Mitstreitern nicht nur anzulasten, durch ihren Verfassungsbruch Österreich jede demokratische Perspektive genommen zu haben, sondern auch eine fünftägige Gewaltorgie, die unter dem Schlagwort„Bürgerkrieg“ als traumatischer Angelpunkt der österreichischen Geschichte über Jahrzehnte die politische Kultur des Landes prägen sollte.
Am Ende sollten in den Straßen der Republik – oder besser gesagt ihrer Reste – etwa 360 Leichen liegen, der Großteil der Gefallenen auf Seite der Aufständischen. Eine annähernd genaue Zahl von 356 hat der Mitarbeiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Historische Sozialwissenschaft, Kurt Bauer, in einer aktuellen Studie recherchiert. Darin enthalten sind die neun Hingerichteten, die der – im besonderen Maße verwerflichen – Blutjustiz des Regimes zum Opfer fielen.
Am 12. Februar 1934 um 6.30 Uhr rückten also plangerecht die regimetreuen Kräfte zur Waffensuche im Linzer Arbeiterheim „Hotel Schiff“ an. Wunschgerecht wehrte sich Bernaschek. Der Waffengang hatte begonnen.
Die Kämpfe in Linz sprachen sich rasch im übrigen Österreich herum. In Wien, in den Industriezentren Ober- und Niederösterreichs sowie in der Steiermark – hier vor allem in Graz-Eggenberg und Bruck/Mur – erhoben sich die Schutzbundeinheiten.
Weniger aus Siegeswillen – die Aussichtslosigkeit des Kampfes war, wie schon erwähnt, von Anbeginn absehbar – als aus einer diffusen Solidarität mit den Verzweiflungsaktionen der Arbeiterschaft stellte sich die sozialdemokratische Führung in Wien hinter den Aufstand. Gegen 11 Uhr des 12. Februar wurde der Generalstreik ausgerufen, der von wesentlichen Teilen der Arbeitnehmerschaft – wie von den Bundesbahnbediensteten und den Druckern – nicht befolgt wurde.
Unkoordiniert führten Schutzbundgruppen örtliche Kämpfe gegen die überlegenen Bundesheer-, Sicherheits- und Heimwehrverbände auf Seite des Regimes. Nach und nach verhängten die Sicherheitsdirektionen in den Bundesländern – außer Vorarlberg und Salzburg – das Standrecht, um 15.35 Uhr wurde es im Rundfunk österreichweit verlautbart.
Am 16. Februar 1934 war in Floridsdorf das letzte Widerstandsnest niedergerungen, wobei das Bundesheer Verstärkung von außerhalb Wiens – Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg und Kärnten – benötigte. Der Sieg der Regierung war – wenig überraschend – eindeutig.
Die Gewaltexzesse in dieser bewaffneten Auseinandersetzung waren nahezu ausschließlich vom Regime zu verantworten, vor allem wurde bei der Niederschlagung der Schutzbundaktivitäten kaum Rücksicht auf die Zivilbevölkerung genommen.
Zu den expliziten Terrorakten der Diktatur zählt der Strafrechtsprofessor Frank Hoepfel neben der brutalen Umsetzung des Standrechts die Beschießung der Wohnungen des Karl-Marx-Hofes von der Hohen Warte aus vom 12. bis 15. Februar.
Ein ähnliches Schicksal erlitt der Goethe-Hof in Kaisermühlen. Auch in Floridsdorf und in Steyr wurden Wohnanlagen mit Artillerie angegriffen. Andere Gemeindebauten wie jene in Simmering wurden kampflos übergeben, nachdem das Bundesheer Kanonen und Haubitzen in Stellung gebracht hatte.
Sicher gab es – wie in allen bewaffneten Auseinandersetzungen – auch nicht rechtfertigbare Übergriffe der Gegenseite. Der schon erwähnte Historiker Kurt Bauer hat diese Überschreitungen in angebrachter Drastik dargestellt.
Bei ihrer Bewertung muss man aber jedenfalls die Legitimität des Aufstandes einerseits und die ungleichen Kräfteverhältnisse andererseits berücksichtigen. Eine Aufrechnung – die im Übrigen an die Aufrechnung der nationalsozialistischen Gräuel gegenüber einzelnen unbestreitbaren Kriegsverbrechen der Alliierten erinnert – ist jedenfalls unzulässig.
Viele der geschlagenen Schutzbündler, FunktionärInnen und Parteigänger der Sozialdemokratie flohen ins Ausland, bevorzugt in die Tschechoslowakische Republik, die neben der Schweiz als einzige Demokratie in Süd-Ost- Mitteleuropa verblieben war. Legendär die Flucht von 60 bis 65 jungen Widerstandskämpfern, von denen sich 47 mit der Waffe in der Hand vom Gaswerk Leopoldau in Wien bis an die tschechoslowakische Grenze durchschlagen konnten. Fluchtbewegungen gab es aber auch – aus der Steiermark – nach Jugoslawien und vereinzelt in die Schweiz.
Vehement kritisiert wurde die Flucht Otto Bauers, der bereits am 13. Februar 1934 um 17.30 Uhr die Schutzbund-Zentrale im Ahorn-Hof Richtung tschechoslowakische Grenze verlassen hatte. Der heute schon zitierte Ernst Hanisch hält die spätere Darstellung Bauers, ihm hätte die Hinrichtung gedroht, für eine „nachträgliche Rechtfertigung“. Gewiss habe Dollfuß denMenschen Bauer gehasst. Aber er hätte es kaum gewagt, schon aus außenpolitischen Gründen einen so international vernetzten Politiker hinrichten zu lassen. Gewiss wäre er eingesperrt worden, vielleicht hätte man einen großen Prozess zu inszenieren versucht, mehr kaum.
Da ist der versierte Historiker wohl etwas blauäugig. Hanisch räumt selbst ein, Otto Bauer hätte gewiss mit Gefängnis rechnen müssen. Drei Monate, fünf Jahre, lebenslang? Gefängnis – oder Lagerhaft? Und mehr noch: Wer hätte für Otto Bauers Leben zu diesem Zeitpunkt garantieren wollen?
Wie eine Regierung einschätzen, die gerade dabei ist, mit brutaler Gewalt die Reste von Demokratie und Grundrechtsgarantien zur Seite zu räumen? Immerhin hatte das Regime gerade durch die Verhängung des Standrechtes allen Beteiligten am Aufstand – und damit wohl gerade auch den Führern – die Todesstrafe angedroht.
Und auch die weiteren Entwicklungen zeigen, dass nicht nur mit Freiheitsentzug zu rechnen war. Die spätere Hinrichtung von, Koloman Wallisch, der am Aufstand der Sozialdemokratie in Bruck/Mur in erster Linie psychologisch-unterstützend beteiligt gewesen war, qualifizieren Historiker wie Rudolf Neck oder Alfred Ableitinger als anbefohlenen Justizmord, den Bundeskanzler Dollfuß, Innenminister Fey und Justizminister Schuschnigg gemeinsam zu verantworten haben.
Der Prozess gegen Josef Stanek, den Grazer Arbeiterkammersekretär und Sozialversicherungsfunktionär, bei dem Entlastungszeugen von vornherein nicht zugelassen waren, endete für das Regime wunschgerecht mit einem Todesurteil. Stanek konnte weder eine aktive Beteiligung an den Kämpfen noch eine führende Rolle nachgewiesen werden.
Er war aber – wie der Grazer Rechtshistoriker und Mit-Organisator der heutigen Veranstaltung Martin Polaschek ausführt – „eine nicht nur in der Arbeiterschaft bekannte Persönlichkeit, weshalb seiner Hinrichtung eine besondere Signalwirkung zukommen musste“.
Weshalb sollte man also im Falle der Ikone der österreichischen Sozialdemokratie, Otto Bauer, eine solche „Signalwirkung“ – insbesondere a priori – ausschließen?
Recht früh hatte sich auch Julius Deutsch von den Kämpfen Richtung Brünn abgesetzt. Der Kopf des Republikanischen Schutzbundes hatte wohl mit Sicherheit die Todesstrafe zu erwarten. Dass er seine – in diesem Licht vielleicht verständliche – Flucht nachträglich zu einem Heldenepos stilisierte (angeblich habe ein Splitter sein Auge verletzt), zählt zu den charakterlichen Tiefpunkten dieser schicksalsschweren Tage.
Der militärische – wenige Tage dauernde – nicht- internationale Konflikt ist nicht als „Bürgerkrieg“ zu qualifizieren, wie der schon zitierte Frank Hoepfel in einem Beitrag nachgewiesen hat. Dies umso mehr, als selbst bei zwischenstaatlichen militärischen Konflikten das Völkerrecht mehr und mehr vom formellen Begriff des „Krieges“ abrückt.
Jedenfalls waren auf Seite der Opposition die Bildung einer Regierung und die Kontrolle eines geschlossenen Territoriums - wesentliche Voraussetzungen eines Bürgerkriegs - nicht gegeben. Am ehesten trifft der Begriff „Aufstand“ im Sinne eines offenen, gewaltsamen Widerstands mehrerer Personen gegen eine Staatsgewalt zu, den auch ich bevorzugt verwende.
Allerdings ist einzuräumen, dass Ziel eines Aufstandes an sich ist, eine als ungerecht empfundene staatliche Ordnung durch eine neue zu ersetzen. Tatsächlich aber standen Schutzbund und Sozialdemokratie auf dem Boden der gültigen Verfassung, die von Usurpatoren mit verfassungswidrigen Zielen bedroht war. Man könnte die Erhebung der verfassungstreuen Kräfte auch als eine defensiv ausgerichtete Bekämpfung eines dauerhaften Putsches – nämlich jenem der Regierung Dollfuß (O-Ton: Andreas Khol) – qualifizieren.
Es bleibt uns noch ein wenig Zeit, meine Damen und Herren, nach den Motiven des Aufstandes zu fragen. Also: Wofür?
Es steht die – auf den ersten Blick stimmige – These im Raum, die Sozialdemokratie habe im Februar 1934 nur den Sozialismus, nicht aber die Demokratie verteidigt.
Tatsächlich hat die Sozialdemokratie in den mir bekannten Aufrufen zu Generalstreik und bewaffnetem Aufstand keinerlei Bezug genommen zur Demokratie. Als Beispiel kann die Extraausgabe des steirischen „Arbeiterwille“ dienen. Dort heißt es: „Alarm! Alles heraus zum Endkampf gegen den Faschismus!“ Und weiter: „Es lebe der Sozialismus! Es lebe die um ihre Freiheitsrechte kämpfende Arbeiterschaft!“
Bei näherem Hinsehen ist aber die Feststellung, dass die
Sozialdemokratie tatsächlich für Demokratie eingestanden
ist, wesentlich schlüssiger.
In den Aufrufen konnte man mit der bürgerlich-liberalen Demokratie, die man 1918 bis 1920 als bestimmende Kraft installiert hatte, nicht mehr mobilisieren. Die Heimwehren und die Regierung Dollfuß hatten sie vollständig desavouiert. Arbeit, Freiheit und Recht waren erfolgversprechendere Parolen. Eine – und gar endgültige – Distanzierung der Sozialdemokraten von der Demokratie ist daraus keineswegs abzulesen.
Zwar hatte die Sozialdemokratie seit Gründung der Republik Probleme – und davon zeugen auch einzelne Dokumente – ihre demokratische Position angesichts des von ihren politischen Mitbewerbern vorangetriebenen Autoritarismus und gegenüber der eigenen extremen Linken, deren Einbindung in das demokratische Gefüge ein Verdienst war, bis zuletzt zu behaupten. Der Hinweis auf die „Diktatur des Proletariats“ im Linzer Programm – völlig und unbeanstandbar defensiv, aber dennoch – wie Bruno Kreisky angemerkt hat – ein Brandmal – ist dafür ein guter Beleg. Verbalradikalismus eines Schafes im Wolfspelz.
In der großen Linie ist aber die Sozialdemokratie wie keine andere politische Kraft der Ersten Republik zu den demokratischen Prinzipien gestanden. Es war eben Wesen des Austro-Marxismus, die Umsetzung seiner marxistisch- ökonomischen Ziele im Rahmen der repräsentativen Demokratie und des Rechtsstaats zu verfolgen.
Selbst in der Zeit der Verfestigung der Diktatur nach dem März 1933 hat sich die Sozialdemokratie unverdrossen für den Bestand des demokratischen Systems eingesetzt, wobei sie zu zahlreichen Kompromissen mit dem Regime bereit gewesen wäre. Authentischer Interpret des Austromarxismus und Chefideologe Bauer: „Demokratisch,solange wir (nur irgendwie) können. Diktatur nur, wenn man uns zwingt und nicht weiter als unbedingt notwendig.“