am 1.11.2015
Martin Pollack, der Osteuropa-Historiker und Schriftsteller, Träger des Leipziger Buchpreises, hat in seinem Essay "Kontaminierte Landschaften" geschrieben:
"An die offiziellen Opfer der Diktaturen und Kriege des 20sten Jahrhunderts erinnern Mahnmale und Kriegerdenkmäler. Doch wo gedenken wir der Tausenden namenlos gewordenen, heimlich verscharrten Toten...? Wie legen wir in Landschaften, die kontaminiert sind mit den unzähligen vertuschten Massakern Mitteleuropas...? ...
Sehr geehrte Damen und Herren,
Martin Pollack, der Osteuropa-Historiker und Schriftsteller, Träger des Leipziger Buchpreises, hat in seinem Essay „Kontaminierte Landschaften“ geschrieben:
„An die offiziellen Opfer der Diktaturen und Kriege des 20sten Jahrhunderts erinnern Mahnmale und Kriegerdenkmäler. Doch wo gedenken wir der Tausenden namenlos gewordenen, heimlich verscharrten Toten...? Wie leben wir in Landschaften, die kontaminiert sind mit den unzähligen vertuschten Massakern Mitteleuropas...?
Und weiter: „Die Gräber sollen unsichtbar werden, in der Landschaft verschwinden, um die namenlosen Opfer für immer aus der Welt zu schaffen: ohne Leiche kein Verbrechen und ohne Verbrechen keine Anklage.
Diese Worte Martin Pollacks können dafür stehen, weshalb wir heute hier stehen, meine Damen und Herren, wie alle Jahre am 1. November bei dem Mahnmal am Zentralfriedhof in Graz.
Wir gedenken den offiziellen, aber auch den inoffiziellen und vertuschten Opfern des nationalsozialistischen Unrechtsregimes – das als das perfideste und perverseste in der Menschheitsgeschichte, als das unvergleichliche stellvertretend stehen mag für die zahlreichen – rechten und linken, autoritären und totalitären – Diktaturen dieses so blutigen letzten Jahrhunderts, die – so Martin Pollack – unser Europa zerstückelt und mit Leichen kontaminiert haben.
Wir gedenken den politischen Gegnerinnen und Gegnern des Nationalsozialismus – Christlichsoziale und Konservative, Liberale, Kommunistinnen und Sozialdemokraten – die man in den Gestapo-Verliesen, Gefängnissen und Lagern gefoltert und zu Tode gebracht hat. Wir gedenken jenen Menschen, die dem nationalsozialistischen Rassenwahn nicht genügten, die menschenverachtend aus der Gemeinschaft nach pseudowissenschaftlichen Kriterien geradezu aussortiert wurden, Jüdinnen und Juden, Roma und Sinti und die anderen sogenannten rassischen Untermenschen, die man zu Millionen wie Ungeziefer vertilgte.
Unsere Gedanken sind bei den behinderten Menschen, bei den vielen Kindern, denen man das Lebensrecht absprach und in psychiatrischen Anstalten tötete, bei den Kriegsgefangenen, Zwangs- und Fremdarbeitern, die das Regime zu Tode arbeiten ließ.
Bei den homosexuellen Menschen – den Schwulen und Lesben -, die die Nationalsozialisten – in den eigenen, elitären Männer-Macht-Zirkeln, vor allem in der Anfangsphase, oftmals selbst der Homophilie zugetan – zu Tausenden unmenschlich – und vielfach zu Tode – quälten.
Wir denken an Millionen Menschen, die den mit den brutalsten Mitteln geführten Angriffskrieg des nationalsozialistischen Deutschlands, dessen Teil das heutige Österreich war, in den brennenden Dörfern, in den bombardierten Wohnungen, in den Luftschutzkellern nicht überlebten oder ganz einfach zu Tode gehungert wurden. Wir vergessen nicht jene Menschen, die – unschuldig an der Errichtung und an den Exzessen der Diktatur – im Zuge der Gegenschläge unserer alliierten Befreier ums Leben kamen.
Wir stehen und weinen, voll Schmerz, Herz und Sinn – hat der Singkreis Breitenau treffend unter der Leitung von Christian Stary gesungen, dem ich hier herzlich für die musikalische Begleitung unserer Gedenkstunde danke.
Wir müssen uns aber, meine Damen und Herren, auch der Wurzeln dieses Wahnes bewusst sein. Tatsache ist, dass der größere Teil der Bevölkerung mit der Weimarer Republik in Deutschland und der Ersten Republik hier in Österreich nur wenig anfangen konnten.
Dies betrifft vor allem die rechtskonservativen Eliten. Ihre autoritäre Grundhaltung musste etwa mit der parlamentarisch-demokratischen und grundrechtsorientierten österreichischen Verfassung von 1920 – ein bemerkenswertes Produkt der Aufklärung und der Moderne -, das ihnen nach Zusammenbruch des Habsburger Reiches die Revolution von 1918 beschert hatte, und mit der gleichheitsgestützten Partizipation der unterprivilegierten Schichten – unter Inklusion der Frauen – nahezu naturgesetzlich kollidieren.
Dazu kam, dass man in besitzbürgerlichen Kreisen die so notwendige Sozialgesetzgebung am Beginn der Ersten Republik nicht als erste Ansätze für den Aufbau eines Sozial- und Wohlfahrtsstaates – wie dies nach 1945 dann beeindruckend gelingen sollte – begreifen wollte, sondern als Bedrohung für die uneingeschränkte Verfügung über ihr Eigentum auffasste und als wörtlich: „Revolutionären Schutt“ beseitigen wollte.
Die Ausschaltung der Demokratie und die Errichtung der österreichischen Diktatur von 1933 bis 1938 war da nur ein konsequenter Schritt, der im Übrigen in ganz Ost-, Zentral- und Südeuropa – mit Ausnahme der Schweiz und der Tschechoslowakei – vollzogen wurde. Die österreichische Variante des Faschismus reichte in keiner Weise – und das sei hier ausdrücklich betont – an die Brutalität ihres nationalsozialistischen Gegenübers heran, war aber übel genug: Hier wurde gedemütigt und misshandelt, in Anhaltelager gesperrt, gehängt und gefoltert.
Als Abwehrprojekt gegenüber dem Nationalsozialismus war das autoritäre Regime denkbar ungeeignet, die Demokratie nach ihrer Zerschlagung völlig desavouiert, ein Gutteil der Bevölkerung politisch ausgeschlossen und Teile von ihr in den Widerstand getrieben.
Wesentlich zur Schwächung des Abwehrwillens Österreichs trug aber auch der manchmal latente, manchmal offen zur Schau getragene Deutschnationalismus aller politischen Kräfte bei. 1931 schreibt Leopold Figl – Chef der Ostmärkischen Sturmscharen, und später so unverzichtbar für das wiedererstandene Österreich – in sein Gästebuch: „Christlich und deutsch immerdar. Mögen sich die Gäste wohl befinden bei deutscher Gastfreundschaft und christlicher Gesinnung.“
Vor allem aber die Sozialdemokratie konnte und wollte ihre großdeutsche Sehnsucht, die die Alliierten im Staatsvertrag von St. Germain in die Schranken gewiesen hatten, nicht aufgeben.
Die nur halb freiwillige, dessen ungeachtet unsägliche Befürwortung des Anschlusses Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland – von dessen staatlich getragener Niedertracht 1938 jeder wusste, der davon wissen wollte – durch den – wie Figl so verdienstvollen - doppelten Staatsgründer Karl Renner in einem von den nationalsozialistischen Behörden autorisierten Interview im „Neuen Wiener Tagblatt“ ist dafür das bekannteste Beispiel.
Wie heißt es bei Goethe so schön: „Halb zog sie ihn, halb sank er hin“ – in diesem Fall war es halt keine liebeswerbende Nixe, sondern eine totalitär- terrorisierende und schlussendlich menschenvernichtende Medusa.
Dass der Anschluss selbstverständlich auch ohne Renners beklemmendes Interview besiegelt war, vermindert den Rechtfertigungsbedarf nicht.
1945 – wir gedenken ja in diesem Jahr dem Neubeginn unserer demokratischen Republik – erklärte man sich unabhängig, betonte seine angeblich ausschließliche Opferrolle, berief sich auf den Widerstand, den es zweifellos gegeben hatte, und bedauerte treuherzig, leider nicht mehr zur eigenen Befreiung leisten zu können, zumal ein solcher Befreiungsbeitrag – wie es in der Unabhängigkeitserklärung wörtlich hieß – „angesichts der Entkräftung unseres Volkes und Entgüterung unseres Landes“ - zu unserem Bedauern „nur bescheiden sein kann“.
Dass Österreicher den Wahnsinn des singulär in der Geschichte stehenden Nationalsozialismus an prominenten Positionen mitgetragen hatten und überproportional führend in die Gräuel der Kriegsverbrechen und in die industrielle Massenvernichtung unschuldiger Menschen verstrickt waren, erwähnte man nicht.
Diese euphemistische Darstellung mag einerseits als Taktik gegenüber den Siegermächten nicht unverständlich sein, offenbart aber andererseits auch das, was ein kluger Kopf einmal das „typisch österreichische Schlaucherlwesen“bezeichnet hat.
Denn in den weiteren Jahren glaubte man offenbar selbst und gerne das, was man unmittelbar zu Kriegsende in die Unabhängigkeitserklärung geschrieben hatte: Ein willenloses Opfer also, das eben gar nichts dafür kann.
Das nach dem antifaschistischen Grundkonsens und der vorerst durchaus ambitionierten Verfolgung der Nazi-Schwerverbrecher am Beginn der Zweiten Republik auf die Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels mehr und mehr verzichtete, die ehemaligen Nationalsozialisten geradezu in einem Wettlauf samt ihres unverändert–überkommenen Gedankenguts in sein Parteiwesen – und beteiligt waren alle demokratischen Parteien, selbst die Kommunisten - integrierte und jene Menschen, die unter Einsatz ihrer wirtschaftlichen Existenz, ihrer Gesundheit, ja ihres Lebens Widerstand gegen das Unrechtsregime geleistet hatten, nicht nur ignorierte, sondern – eine besondere menschliche Niedertracht – als „Vaterlandsverräter“ vernaderte.
Und ein angebliches Opfer, das die Rückstellungen des nationalsozialistischen Raubguts – insbesondere an die geflohenen Jüdinnen und Juden – bei jeder Gelegenheit hintertrieb. Wie sagte der Gewerkschafter und sozialdemokratische Innenminister Oskar Helmer 1948 – also drei Jahre nach dem Holocaust – und nur stellvertretend für die vielen unverdrossenen und unbelehrbaren Antisemiten, wie etwa auch den – sonst so sozial kompetenten - Leopold Kunschak, so schön: „Ich sehe überall nur jüdische Ausbreitung ... auch den Nazis ist im Jahre 1945 alles weggenommen worden ... ich wäre dafür, dass man die Sache“ – gemeint die Restitution – „in die Länge zieht.“
Und sein schwarzer Regierungskollege, Landwirtschaftsminister Josef Kraus, assistiert im selben Jahr: „Ich weiß nicht, wie gerade jetzt eine Rasse „– Sie merken schon meine Damen und Herren, an der alten totalitären Sprachwahl hatte sich nichts geändert –„ eine Rasse besondere Privilegien bekommen soll. Andere, die nicht weggingen, bekommen keine Unterstützung, die Juden sollen aber eine solche erhalten.“
Diese Worte fielen – wie gesagt – in einer Ministerratssitzung drei Jahre nach dem unmenschlichsten Inferno der Menschheitsgeschichte, das sechs Millionen Jüdinnen und Juden das Leben gekostet hatte. Nachdenken? Ursachenforschung? Empathie gar? Nicht mit uns. Mir san mir.
Und dennoch, meine Damen und Herren: Selbst in der kritischen Retrospektive überwiegen die positiven Entwicklungen die Schatten bei weitem. Zumindest demokratie- und wirtschaftspolitisch hatte man aus den Fehlern der Ersten Republik gelernt. Die einen sahen ein, dass der ungebremste Kapitalismus unmittelbar in Faschismus und Krieg geführt hatte. Die anderen verzichteten auf ihren revolutionären Gestus, weil ihr Ziel der sozialen Gerechtigkeit auch mit evolutionären Mitteln erreichbar schien.
Der ehemalige hohe Funktionär der österreichischen Diktatur, Julius Raab, und der ehemalige Häftling des Anhaltelagers Wöllersdorf, Adolf Schärf, reichten sich - nicht nur symbolisch - die Hände.
Die Kirche, ein staatstragender Faktor in den 20er- und 30er- Jahren, erkannte, dass der politische Katholizismus ihr weniger genützt als geschadet hatte, akzeptierte das säkulare Prinzip der Trennung von Kirche und Staat und fand zu einer Äquidistanz zu den politischen Parteien. Die Aussöhnung mit der Arbeiterschaft gipfelte in der legendären Rede Kardinal Königs beim Bundesvorstand des Österreichischen Gewerkschaftsbundes am 27. Februar 1973.
Die Sozialgesetzgebung der ersten 20er-Jahre wurde – nunmehr im sozialpartnerschaftlichen Konsens - wieder aufgenommen und ausgebaut, das Land entwickelte sich – wie Profil-Redakteur Herbert Lackner unlängst treffend anmerkte – vom Niveau eines afrikanischen Entwicklungslandes mit einer Säuglingssterblichkeit im Jahr 1947 von 16 %, Mitte 1945 waren es sogar 42 % gewesen, hin zu einem prosperierenden – bei allen Defiziten, die wir als Arbeitnehmerinteressenvertretung immer wieder einmahnen - gesellschaftlich ausgewogenen Sozial- und Wohlfahrtsstaat.
Die Verfassung von 1920 bzw. 1929 – die man nahezu unverändert in die Zweite Republik tradiert hatte – erfreute sich nunmehr uneingeschränkter Akzeptanz und wurde mit politischem Leben erfüllt, ihre Grundrechte – der Großteil noch Errungenschaft der bürgerlichen Revolution von 1848 – glücklich ergänzt durch die Europäische Menschenrechtskonvention, die Österreich – ein Vorbild für Europa – bereits 1959 in den Verfassungsrang erhob, und später die EU- Grundrechtscharta.
Die Justiz hat – nach Jahrzehnten des skandalösesten Lavierens – einen korrekten Zugang zu den Gräueln des Nationalsozialismus und dessen Gedankenguts gefunden, Prozesse gegen die österreichischen Mittäter, wie etwa der gegen Franz Murer, den steirischen SS-Schlächter von Vilnius, der noch in den 60er Jahren zu einem völlig unverständlichen Freispruch vor dem Landesgericht Graz und einem Blumenmeer der dankbar feiernden Bevölkerung geführt hatte, wäre – und davon bin ich überzeugt – heute nicht mehr möglich.
Der Strafprozess gegen den von der Sozialdemokratie geschützten Heinrich Gross, den Kindermörder vom Spielgrund – den die Strafverfolgungsbehörden jahrelang in geradezu unverzeihlicher Manier verschleppt hatten-, führte schlussendlich wohl wegen dessen Gebrechlichkeit zu keiner Verurteilung, nicht weil Richter oder Geschworene voreingenommen gewesen wären.
Ja, die Justiz geht bei der Aufarbeitung der dunklen Kapitel in die Offensive. Unlängst, am Nationalfeiertag, hat das „Graue Haus“, das Landesgericht für Strafsachen in Wien, unter der schauspielerischen Mitwirkung des Gerichtspräsidenten Friedrich Forsthuber den Volksgerichtsprozess von 1945 gegen SA-Mörder von ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern, „den sogenannten“ Engerau-Prozess, beeindruckend nachgestellt.
Sehr spät, aber für manche Opfer noch nicht ganz zu spät, wurde ein Weg zu Restitution und Entschädigung für die Enteigneten und die entrechteten Sklaven, an denen sich auch österreichische Unternehmen bereichert hatten, gefunden, der einen letzten Anschein von Anstand wahrte.
Das Verbotsgesetz, lange totes Recht, wurde wiederbelebt, die Verfahren wegen Wiederbetätigung werden in der Regel – zumindest kann ich das von der Steiermark sagen - fair und korrekt abgewickelt.
Zuletzt hat man auch in der legistischen Aufarbeitung spät, aber doch, so etwas wie Meilensteine gesetzt. Die Republik Österreich erkannte endlich, dass Deserteure zu ihrer Wiedererrichtung maßgeblich beigetragen hatten, indem sie sich dem Gleichschritt entzogen und nicht für die verbrecherischen nationalsozialistischen Besatzer – die Feinde Österreichs – kämpften, und hob die Urteile der Nazi-Militärjustiz 2009 gegen sie endlich auf – es ist müßig, meine Damen und Herren, zu erwähnen: gegen die Stimmen jener Partei, die sich vom ewig gestrigen Gedankengut einfach nicht glaubwürdig lösen kann.
Vielleicht schaffen wir es ja irgendwann einmal, meine Damen und Herren, mehr Gedenkzeichen für diese Menschen im öffentlichen Raum zu setzen – als Ausgleich für die vielen Denkmäler für die sogenannten „Helden“ bei jedem zweiten Kirchentor, die – gezwungen oder freiwillig, angeblich flink wie Windhunde zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl, am Koppelschloss ein „Gott mit uns“ an einen vereinnahmten Allmächtigen – eben nicht für ihr Vaterland – wie auf den Tafeln behauptet -, sondern gegen Österreich und seine Befreier gekämpft hatten. Der Literat Erich Hackl hat unlängst zutreffend diese höchst unpassenden – ja geradezu skurrilen - Gedenkstätten als „Krebsgeschwür“ bezeichnet.
Und auch gegenüber der österreichischen Diktatur hat man zu beeindruckenden – dem historischen Forschungsstand entsprechenden - legistischen Worten gefunden: Die Urteile und Bescheide gegen die politisch Andersdenkenden wurden 2011 im Aufhebungs- und Rehabilitierungsgesetz als „Unrecht im Sinne des Rechtsstaates“ – erlassen von einer Hoheitsgewalt, die – wie ausdrücklich festgehalten wird – „demokratischen Prinzipien widersprochen“ hatte – einstimmig aufgehoben.
ChristdemokratInnen, Sozialdemokraten und Grüne fanden im Initiativantrag dieses Gesetzes zu einer bemerkenswert stimmigen Formel. Wörtlich: „Damals – nämlich in Österreich 1933 bis 1938 – sind Menschen ihrer demokratischen Rechte beraubt, an Leib, Leben und Eigentum beschädigt, strafgerichtlich verurteilt, verwaltungsbehördlich angehalten und aus dem heimatlichen Staatsverband ausgestoßen worden, die sich für den Erhalt eines unabhängigen und demokratischen Österreichs eingesetzt haben.
Diese erfreulichen Entwicklungen schlagen sich in einem neuen politischen Selbstverständnis nieder. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner anlässlich der 70- Jahres-Feier seiner Partei wörtlich: „1933 bis 1938 hatten wir eine Kanzlerdiktatur, von der sich die bürgerliche Kraft eindeutig distanziert.“
Und das völlig zu Recht, meine Damen und Herren: Die bürgerliche Sammelpartei hat sich 1945 – in klarer Distanzierung von der autoritär-konservativen Bewegung der Zwischenkriegszeit, die bei der Errichtung der Diktatur eine solch unglückliche Rolle gespielt hatte – bewusst neue Fundamente gegeben und enorm viel für die Demokratisierung der Zweiten Republik beigetragen.
Mit beiden Gesetzen hat die Republik Österreich somit nach jahrzehntelanger Verschleppung der Aufarbeitung einen ganz wesentlichen demokratiehygienischen Schritt gesetzt und – weil, wie Ernst Hanisch, der konservative Salzburger Historiker, einmal treffend festgestellt hat, nicht beide recht haben können – ein klares Werturteil gegen die Diktatoren und für den Widerstand getroffen.
Also alles in Ordnung in der Casa de Austria, im altehrwürdigen Haus Österreich? Dass – um zum Schluss zu kommen, meine Damen und Herren – in der Hofburg im Frühjahr dieses Jahres der Chef und Klubobmann einer von drei mittelgroßen Parteien beim Staatsakt zur Wiedererrichtung der demokratischen Republik – bei der Feier also für unseren gelungenen Gegenentwurf zum nationalsozialistischen Unrechtsstaat, an dem Österreich wie Bundespräsident Fischer in seiner Rede anmerkte eine unleugbare Mitverantwortung trägt - durch Abwesenheit glänzt und stattdessen in der Steiermark gegen die Asylanten und die Muslime und die bettelnden Roma – bei allen unbestreitbaren Problemen, die jeder vernünftiger Mensch sieht - pauschal in einer Sprache poltert, die jede Verhältnismäßigkeit vermissen lässt, und dabei die Ressentiments seiner Plakate und Postwurfsendungen noch übertrifft, kann man als die übliche Provokation aus einer Ecke abtun, die man landläufig – euphemistisch – auch populistisch nennt. Sie macht aber viele betroffen und besorgt.
Dass gleichzeitig ein Akademikerverband dieser Bewegung – in seiner offenbar wieder salonfähigen Diktion „Arbeitslager für Neger“ und andere Flüchtlinge fordert – auch von „Erd- und Höhlenmenschen“ ist in diesem Milieu bisweilen die Rede -, zeigt, dass diese Betroffenheit nicht – wie oftmals behauptet – auf die Überspanntheit einiger sogenannter „Gutmenschen“ zurückzuführen, sondern jedenfalls berechtigt ist.
Auch wenn heute antisemitische, rassistische und demokratiegefährdende Rülpser von einem wachsenden Teil der Politik und der Zivilgesellschaft nicht mehr als Kavaliersdelikt akzeptiert, sondern entschieden zurückgewiesen werden, sollten wir alle – und stellvertretend dafür stehen die Opferverbände in ihrer überparteilichen Zusammenarbeit – allen Gefahren, die unserem so sensiblen und anfälligen demokratisch-humanistischen Rahmen drohen, entgegen wirken.
Damit die Menschen, denen wir heute mit Dankbarkeit gedenken, nicht umsonst ihr Leben gaben und in Europa die „kontaminierten Landschaften“ endlich für immer verheilen können.
Verheilen, meine Damen und Herren, aber vergessen wollen wir sie nie.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.