Gastkommentar Standard-Online am 12.2.2019
Kurzfassung
Am 28. Februar jährt sich der 130ste Geburtstag von Koloman Wallisch. Noch heute fasziniert dieser charismatische „Arbeiterführer“, sein Wirken und sein gewaltsamer Tod im „Bürgerkrieg“ 1934 bewegt. Die Diskussionen um das Ende der demokratischen Ersten Republik und die nachfolgende Diktatur flammt immer wieder auf, teilweise sehr emotional geführt. Zuletzt etwa in „Die Presse“ der letzten Wochen. Die Frage ist, ob der Februaraufstand des sozialdemokratischen Schutzbundes im Februar 1934 legitim war und ob Koloman Wallisch Täter oder Opfer war.
Völlig klar ist, dass die Regierung Engelbert Dollfuß ab März 1933 die demokratische Verfassung beseitigt hat. Er hat den Nationalrat ausgeschaltet, damit auch die Möglichkeit, seine Regierung mit einem Misstrauensvotum zu beenden. Gleichzeitig erfolgte die Einschränkung von Grundrechten, insbesondere der Pressefreiheit, und die Paralysierung des Verfassungsgerichtshofes. Die eigenmächtigen Verfügungen der Regierung konnten nicht mehr kontrolliert und aufgehoben werden. Ein „Putsch“, wie etwa Andreas Kohl vor einiger Zeit meinte.
Damit steht aber auch fest, dass das Handeln der Putschisten keine Rechtsgrundlage im Sinne der Verfassung der Ersten Republik hatte. Sowohl der Verfassungsbruch als auch weitere Tathandlungen der Regierung sind unter diesem Aspekt zu beurteilen. Die Ausschaltung der demokratischen Willensbildung in der Arbeiterkammer? Rechtswidrig. Die gewaltsame Hausdurchsuchung im „Hotel Schiff“ in Linz und damit die absichtlich herbeigeführte Auslösung des „Bürgerkriegs“ im Februar 1934? Rechtswidrig. Das Vorgehen gegen den Widerstand der Diktatoren? Rechtswidrig. Das Beschießen von Wohnsiedlungen? Rechtswidrig. Die Hinrichtung von Widerstandskämpfern? Rechtswidrig. Der Freiheitsentzug in Gefängnissen und Anhaltelagern? Rechtswidrig. Die Aberkennung der politischen Mandate der Sozialdemokraten? Rechtswidrig. Die Konfiskation des Vermögens politisch Andersdenkender? Rechtswidrig.
Nach geltendem Recht hat das Regime unter anderem folgende Straftaten zu verantworten: Vielfacher Mord, Hochverrat, Angriffe auf oberste Staatsorgane, Landfriedensbruch, schwere Sachbeschädigung, schwerer Raub, schwerer Diebstahl. Eine „schöne Speisekarte“, wie es im Justizjargon heißt.
Aber vielleicht haben sich die Verfassungsbrecher ja in einem „entschuldigenden Notstand“ befunden? Haben sie eine Diktatur errichtet, um größeren Schaden von Österreich abzuwenden? Angeführt in der Diskussion wird immer die Behauptung, die Sozialdemokratie habe selbst die Demokratie beseitigen wollen, die Regierung Dollfuß habe nur reagiert. Dafür gibt es keinerlei konkrete Hinweise, die politisch Andersdenkenden haben sich bis zuletzt verfassungskonform verhalten. Selbst nach den ersten Schritten in Richtung Diktatur haben sie versucht, über Verhandlungen eine friedliche Einigung zu erzielen.
Der Aufstand gegen die Diktatur war ungeplant, chaotisch, man ist in den „Bürgerkrieg“ geschlittert. Er mag nicht sinnvoll gewesen sein, er war aber sowohl politisch als auch rechtlich legitim. Von einzelnen Historikern wird den Aufständischen vorgeworfen, in dieser überstürzten und chaotischen Phase nicht explizit für die Demokratie mobilisiert zu haben. Wundert das jemanden? Die Demokratie hatte die Menschen nicht vor der Entrechtlichung schützen können. Arbeit, Freiheit und Recht waren vielversprechendere Parolen. Was die Sozialdemokratie nach einem Sieg getan hätte, bleibt Spekulation. Es gab keine Pläne. Wie sollte man jene Kräfte, die gerade die Verfassung gebrochen hatten, wieder in den demokratischen Prozess einbinden? Darin bestand ja gerade die völlige Verantwortungslosigkeit der Regierung Dollfuß: Sie nahm dem Land jegliche Perspektive des partizipativen Ausgleichs und legte durch eine völlige Desavouierung der Demokratie und Kriminalisierung der natürlichen Feinde der Nazis die Grundlage für den „Anschluss“. Vier Jahre später blieb nur die endgültige Bankrotterklärung der „kleinen Diktatur“, ein weinerliches „Gott schütze Österreich!“
Was in der Diskussion um den Februar 1934 so verstört, ist dieses seltsame, gebetmühlenartig vorgebrachte Beweislastumkehr: Nicht die Zerstörer der Demokratie haben ihren Verfassungsbruch und Hochverrat zu rechtfertigen. Sondern jene Menschen, die sich verzweifelt gegen die Diktatur gestemmt haben, mögen beweisen, dass sie es für die Demokratie getan haben. Perfider geht es nicht.
Und Koloman Wallisch? Der ungarische Gewerkschafter hatte sich früh für Arbeitnehmerinteressen eingesetzt. 1919 schließt sich der Sozialdemokrat der Rätediktatur unter Bela Kun an. Wallisch steht einem Gerichtstribunal vor, das ein Todesurteil verkündet. Immerhin, es wird nicht vollstreckt. Ein Makel bleibt, der nicht klein zu reden ist. Wallisch hat sich öffentlich nie von seiner tragenden Rolle in einer Diktatur distanziert. Dies taten allerdings die Funktionäre der österreichischen Diktatur, die doch ein wesentlich höheres Repressionspotential aufwies, nach 1945 auch nicht.
Nach seiner Flucht aus Ungarn hat er sich der österreichischen Sozialdemokratie angeschlossen und ist rasch aufgestiegen, zuletzt zum Landesparteisekretär in der Steiermark und zum Nationalrat. Wallisch hat in seiner Agitation und seinen politischen Standpunkten gewiss polarisiert. Hinweise, dass er den demokratischen Verfassungsstaat je in Frage gestellt hätte, existieren nicht.
Er stand – wie er in seinem beeindruckenden Plädoyer vor dem Standgericht betonte – bis zuletzt auf Grundlage der Verfassung. Seine Verurteilung und seine Hinrichtung waren damit Unrecht, wie auch das Aufhebungs- und Rehabilitationsgesetz 2011 ausdrücklich festhält. Aber selbst auf Grundlage der Ruinen, die der Verfassungsbruch vom Rechtsstaat übriggelassen hatte, war die Hinrichtung unrechtmäßig. Die Ministerratsprotokolle der Zeit weisen nach, dass das Regime ohne Notwendigkeit – die Kämpfe waren längst vorbei – das Standrecht aufrechterhalten hat, um Wallisch hängen zu können.
Willy Brandt sage einmal: „Die Geschichte kennt kein letztes Wort“.Die jüngste Diskussion über Koloman Wallisch und die österreichische Diktatur zeigt dies sehr deutlich. Und sie zeigt auch, dass „Grundkonsense“ wie Demokratie, Menschenrechte, „europäische Werte“ und die anhängenden Geschichtsbilder im Fluss sind. Sie werden in Frage gestellt, werden verteidigt. Anders als die Geschichte hat Koloman Wallisch ein letztes Wort gesprochen: „Freiheit!“ Ein Wort der Sehnsucht aller Menschen zu allen Zeiten. Dass kurz danach seine Beine über der Leere hingen, wir können ruhig sagen: über einem Abgrund, darf Demokraten jeder Couleur nachdenklich stimmen.
(Langfassung)
Am 28. Februar jährt sich der 130ste Geburtstag von Koloman Wallisch. Noch heute fasziniert dieser charismatische „Arbeiterführer“, sein Wirken und sein gewaltsamer Tod im „Bürgerkrieg“ 1934 bewegt. Zuletzt in „Die Presse“ mit Gudula Walterskirchen (14.1.), Heinz Fischer (16.1.) und Kurt Bauer (24.1.).
Gewerkschafter
Koloman Wallisch war ein Kind der enormen politischen Umwälzungen, der Selbstfindung von Menschen ebenso wie gesellschaftlicher Systeme. Geboren 1889 als Sohn eines Zimmerers im „multikulturellen“ Banat, war er unmittelbar mit den elenden Verhältnissen der Arbeiterschaft und der offenen und latenten Diskriminierung konfrontiert. Als Lehrling wird er geschlagen, er leidet fortan an einem Gehörschaden.
Was kann man tun? Antworten hat die Arbeiterbewegung: Mitsprache in den Unternehmen, Mitsprache in den Parlamenten, Tarifverträge, rechtsstaatliche Garantien. Koloman Wallisch engagiert sich in den Gewerkschaften, er erkennt, dass – nicht zuletzt auch mit konfliktbeladenen Streiks – die Arbeitnehmer nur gemeinsam und solidarisch Augenhöhe mit den Arbeitgebern gewinnen können. Erste Erfolge stellen sich ein, Arbeits- und Entgeltbedingungen verbessern sich etwas.
Funktionär einer Diktatur
1917 Revolution in Russland, 1919 für einige Monate Rätediktatur auch in Ungarn unter Bela Kun. Viele unterprivilegierte Menschen sehen in diesem System eine Hoffnung, ihre missliche, oft nahezu aussichtslose wirtschaftliche Lage radikal zu verbessern: Unter Beseitigung der bisherigen Eliten, ohne langwieriges Ringen um Ausgleich und Kompromiss.
Wallisch, ursprünglich sozialdemokratisch geprägt, wird Funktionär der Rätediktatur, ob aus pragmatischen Gründen oder Überzeugung lässt sich heute nicht mehr klären. Er tritt für die Vereinigung von Sozialdemokraten und Kommunisten ein. Wallisch steht einem Gerichtstribunal vor, das ein Todesurteil verkündet. Immerhin, es wird nicht vollstreckt. Ein Makel bleibt, der nicht klein zu reden ist. Wallisch hat sich öffentlich nie von seiner tragenden Rolle in einer Diktatur distanziert. Dies taten allerdings die Funktionäre der österreichischen Diktatur, die doch ein wesentlich höheres Repressionspotential aufwies, nach 1945 auch nicht.
Als die Rätediktatur gestürzt und sich die rechtsautoritäre Gegendiktatur aufzubauen beginnt, flieht Wallisch über Marburg in die Steiermark und stößt zur österreichischen Sozialdemokratie. Er steigt rasch auf, zuerst Parteisekretär in Fürstenfeld und Bruck/Mur, Abgeordneter zum Landtag, später Abgeordneter zum Nationalrat und Landesparteisekretär.
Funktionär einer Demokratie
Sein enormes soziales Engagement für die Arbeiter, aber auch Keuschler und Kleinbauern ist unumstritten. Auch sein Bemühen um sozialen Ausgleich – erste Ansätze einer Sozialpartnerschaft – wurde beidseitig durchaus anerkannt. Leben und leben lassen. Dass später – im Februar 1934 – kein Unternehmer den Galgen für Wallisch zimmern wollte, war gewiss nicht nur der Furcht vor Vergeltungsmaßnahmen der Arbeiterschaft geschuldet.
Das klare Bekenntnis der österreichischen Sozialdemokratie zur Demokratie musste sich Wallisch wohl erst erwerben. 1919 hatte diese, wie Manfried Rauchensteiner unlängst meinte, die Republik vor Radikalisierung und Rätediktatur bewahrt. Die Verfassung von 1920, ein nicht hoch genug zu schätzender Verhandlungskompromiss aller maßgeblichen politischen Kräfte, trägt ihre Handschrift.
Kurt Bauer hingegen unterstellt der Sozialdemokratie, während der gesamten Ersten Republik die Überwindung der „bürgerlichen“ Demokratie angestrebt zu haben. Er interpretiert den Wiener Bürgermeister Karl Seitz völlig falsch. Seitz trat 1932 ersten Versuchen des Kabinetts Dollfuß, die Demokratie zu paralysieren, scharf entgegen. Er verwies darauf, dass seine Bewegung die Demokratie als Mittel sehe, Sozialismus zu erreichen. Ein legitimes Vorhaben. Das sah die Partei nach 1945 nicht anders. Und richtig liegt Seitz auch mit der Bemerkung, dass Demokratie kein „Endziel“ sei. Sie war bereits zu dieser Zeit Teil des verfassungsmäßigen Rahmens, der nicht in Frage gestellt wurde.
Der linke Rand der Bewegung war allerdings oftmals nur schwer zu beruhigen. Umso mehr, als rechtsautoritäre Kräfte schon in den ersten Jahren der Republik das Ziel formulierten, den „revolutionären Schutt“ – Demokratie und soziale Schutzgesetze für die Arbeiterschaft - wieder wegzuräumen. Verbale Provokationen haben nicht zur Verständigung mit dem sich stetig radikalisierenden Gegenüber beigetragen. Die Ankündigung einer „Diktatur des Proletariats“ im Linzer Programm 1926 war als „wehrhafte Demokratie“ konzipiert und formaljuristisch im Sinne des Verfassungsstaates nicht zu beanstanden. Die ideologiebelastete Formulierung war allerdings unnötig, sie befeuerte nur die konfrontative Propaganda der Autoritären.
Koloman Wallisch war wohl einer, der den verbalen Drohgebärden gegenüber der autoritären Rechten viel abgewinnen konnte. 1927, als in Wien der Justizpalast brannte, hisste er am Brucker Hauptplatz die rote Fahne und erklärte: „Wenn in Bruck Arbeiterblut fließt, wird auch Bürgerblut fließen!“ Auch er war ein Getriebener. Von den Kommunisten wurde er als „Bremser“ und „Packler“ beschimpft, von den Autoritären als Aufwiegler und Staatsfeind gebrandmarkt. Diese Kampfrhetorik hat viel zur Polarisierung um seine Person beigetragen. Hinweise aber, dass er die demokratische Grundverfassung des Landes je ernsthaft in Frage gestellt hätte, liegen nicht vor.
Koloman Wallisch und seiner Bewegung sind gewiss politische Fehler unterlaufen. Vielfach wird auch mangelndes Engagement für die Konsensdemokratie genannt, etwa die Ablehnung letzter Koalitionsgespräche mit den Christlichsozialen 1931. Aber waren diese tatsächlich ernst gemeint und auf einen fairen Abgleich unterschiedlicher Interessen gerichtet? Wäre nicht die Sozialdemokratie als stärkste Kraft im Parlament – wie in der Zweiten Republik selbstverständlich – mit der Regierungsbildung zu beauftragen gewesen? Erhebliche Zweifel bleiben.
Mit der Errichtung der Diktatur 33/34 jedenfalls hatte die Sozialdemokratie nichts zu tun, dies bewerkstelligten schon andere: Ausschaltung des Parlamentarismus, Aufhebung von Grundrechten, Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofs. Das österreichische Regime – ob man es nun Austrofaschismus oder Regierungsdiktatur nennt, ist keine Fahnenfrage! – zu verharmlosen, ist völlig unangebracht. In ihm wurde sozial ausgegrenzt und gedemütigt, in Anhaltelager gesperrt, gehängt und gefoltert. Dass sich nach heutigem Stand offiziell jede im Parlament vertretene Kraft von dieser Diktatur „klar distanziert“ (Reinhold Mitterlehner) hat, tut der demokratischen Kultur der Republik gut.
Widerstand
Koloman Wallisch wollte schon im März 1933, dem Autaritarismus entgegentreten: Noch hätte die Kraft für einen Generalsstreik ausreichen können, noch gab es Hoffnung für ein friedliches Einlenken der Regierung Dollfuß. Die Spitze seiner Bewegung sah dies anders, sie verlegte sich auf das Verhandeln, ja sie „bettelte“ (Ernst Hanisch) geradezu für den Erhalt der Demokratie und ihr eigenes Überleben. Im Februar 1934 war es für einen solchen Aufstand zu spät, Koloman Wallisch war dies bewusst: „Ich werde unter den Opfern sein“, soll er gesagt haben. Er fuhr von Graz trotzdem zu „seinen Bruckern“ in die Obersteiermark, wie er es versprochen hatte. Eine Charakterhaltung, eine Sentimentalität, wenn man so will, keine Überzeugung. Der Widerstand gegen die diktatorischen Anmaßungen in Bruck war nach Wien am stärksten, man hielt einen Tag lang die Stadt, dann musste man sich in die Berge zurückziehen. Nach einigen Tagen versuchte Wallisch, sich mit einem Taxi abzusetzen, das Ziel war wohl die Tschechoslowakei. Er wurde erkannt, verhaftet, verurteilt und hingerichtet.
Kurt Bauer hat recht, dass die Aufständischen nicht explizit für die Demokratie mobilisiert hatten. Diese hatte die Menschen nicht vor der Entrechtlichung schützen können. Arbeit, Freiheit und Recht waren vielversprechendere Parolen. Was die Sozialdemokratie nach einem Sieg getan hätte, bleibt Spekulation. Es gab keine Pläne. Wie sollte man jene Kräfte, die gerade die Verfassung gebrochen hatten, wieder in den demokratischen Prozess einbinden? Darin bestand ja gerade die völlige Verantwortungslosigkeit der Regierung Dollfuß: Sie nahm dem Land jegliche Perspektive des partizipativen Ausgleichs und legte die Grundlage für den „Anschluss“. Vier Jahre später blieb nur die endgültige Bankrotterklärung der „kleinen Diktatur“, ein weinerliches „Gott schütze Österreich!“
Was in der Diskussion um den Februar 1934 so verstört, ist diese seltsame – auch von Bauer immer wieder vorgebrachte – Beweislastumkehr: Nicht die Zerstörer der Demokratie haben ihren Verfassungsbruch und Hochverrat zu rechtfertigen. Sondern jene Menschen, die sich verzweifelt gegen die Diktatur gestemmt haben, mögen beweisen, dass sie es für die Demokratie getan haben. Perfider geht es nicht.
Ein letztes Wort
Koloman Wallisch stand – wie er in seinem beeindruckenden Plädoyer vor dem Standgericht betonte – auf Grundlage der demokratischen und rechtsstaatlichen Verfassung. Naturgemäß war damit die Verurteilung Unrecht, wie das Aufhebungs- und Rehabilitationsgesetz 2011 ausdrücklich festhält. Aber selbst auf Grundlage der Ruinen, die der Verfassungsbruch – ein „Putsch“ (Andreas Khol) – vom Rechtsstaat übriggelassen hatte, war die Hinrichtung unrechtmäßig. Heinz Fischer hat auf die Ministerratsprotokolle der Feburartage hingewiesen. Dort ist dokumentiert, dass das Regime ohne Notwendigkeit – die Kämpfe waren längst vorbei – das Standrecht aufrechterhalten hat, um Wallisch hängen zu können. Es liegt somit jedenfalls eine mit dem schärfsten Vorsatz, nämlich Absichtlichkeit, herbeigeführte rechtswidrige Tötung vor; ein „Justizmord aus niederen Gefühlen“ (Rudolf Neck), den der Kanzler Dollfuß, der Sicherheitsminister Fey und der Justizminister Schuschnigg gemeinsam zu verantworten haben.
Die Geschichte kennt kein letztes Wort. (Willy Brandt) Die jüngste Diskussion über Koloman Wallisch und die österreichische Diktatur zeigt dies sehr deutlich. Und sie zeigt auch, dass „Grundkonsense“ wie Demokratie, Menschenrechte, „europäische Werte“ und die anhängenden Geschichtsbilder im Fluss sind. Sie werden in Frage gestellt, werden verteidigt. Anders als die Geschichte hat Koloman Wallisch ein letztes Wort gesprochen: „Freiheit!“ Ein Wort der Sehnsucht aller Menschen zu allen Zeiten. Dass kurz danach seine Beine über der Leere hingen, wir können ruhig sagen: über einem Abgrund, darf Demokraten jeder Couleur nachdenklich stimmen.