Über die kleine Wasserscheide, vorbei am Felder und Afritzer See, zieht das Ferrarirote von Millstatt nach Ossiach. Der Trainer strampelt willig. Der Radweg ist nahezu durchgängig, nur einige gefährliche Stellen bleiben ungesichert.
Die Seenklöster Millstatt und Ossiach, ebenso wie jene im Salzkammergut, verdanken Existenz und Bedeutung bayrischen Adeligen. Ossiach war das erste Benediktinerkloster in Kärnten, urkundlich bereits Anfang des 11. Jahrhunderts erwähnt. Der Stifter hieß Ozi, daher der Name: Ossiach.
Die romanische Anlage des Stifts ist noch gut zu erkennen. Der Brand von 1478 hat jedoch den mittelalterlichen Bestand weitgehend zerstört. Den Rest besorgte die Klosteraufhebung von Joseph dem II., ihr fiel auch der bedeutende Kreuzgang im Süden zum Opfer. Die restlichen Gebäude des einst stattlichen Baukomplexes wurden nun so genutzt, wie es der, aufgeklärte, Geist der Zeit verstand: profan. Aber gleich so profan? Strikt gewinnorientiert und militärisch. Zuerst eine Kaserne, dann ein Gestüt. Heute, immerhin, dienen die Gebäude vorwiegend der Kultur. Carinthischer Sommer.
Der Transzendenz verblieb die Pfarrkirche, Maria Himmelfahrt. Der Unterbau der romanischen Pfeilerbasilika überstand den Brand. Im 18. Jahrhundert wurde die Kirche kunstvoll ausgebaut, heute erstrahlt sie im prächtigsten Barock. Die Fresken von Josef Ferdinand Fromiller verleihen den Gewölben eine tiefe Mystik. Fast, flüstert der Trainer dem zurückbleibenden Ferrariroten am Eingang zu, hat man das Gefühl, unter die grünblauen Wasserspiegel der Kärntner Seen, in golddunkle Tiefen abzutauchen.
Oder in den Himmel. Die Himmelfahrt der Gottesmutter ist Programm. Daneben Margaretha und Katharina, zwei der drei heiligen Madeln des österreichischen Südens. Bei der Gestaltung der kunstvollen Kanzel hat man sich diesmal nicht für die vier Evangelisten, sondern für die Kirchenväter entschieden. Ambrosius. Gregor. Augustinus. Hieronymus.
Und vom Aufgang der Kanzel blickt düster ein Höllenrachen. Er verschlingt die erbarmungswürdigen Verdammten dieser Erde, nicht wert, das Licht des Paradieses zu schauen. Eine eindringliche Warnung an die Gläubigen und Nichtganzsosehrgläubigen da unten auf den Kirchenbänken, die gewöhnlichen und nicht ganz so gewöhnlichen Individuen des Volkes, mit Fußfesseln des Straflandesgerichts Klagenfurt oder ohne, auf ihren Hirten da oben auf der hohen Kanzel, zu hören. Dem Bösen zu wehren, dem Guten sich zuzuwenden. Was immer das auch sein mag, das Böse. Oder das Gute.
Der Kirchenraum und die Einrichtung bilden eine glückliche Einheit. Der Trainer wandelt von Kostbarkeit zu Kostbarkeit. Am Grab des Boleslaus, des zweiten seines Namens, vormals König von Polen, bleibt das Auge hängen. Ein wahrlich stattliches Grabmal! Selbst einen römischen Grabstein, mit Pferd und Sattel, hat man dem Gottgesalbten in das ewige Leben mitgegeben.
Man gedenkt hier eines Büßers. Der König Boleslaus soll bereits in ersten Jahren des Stifts an die Klostertür geklopft und um Aufnahme gebeten haben. Buße wollte er tun. Weil er den hochlöblichen Erzbischof von Krakau, den später sanktifizierten Ladislaus, mit dem Schwerte erschlagen und auf dem Altar zerstückelt hat.
Ein stummer Diener wollte er nur noch sein, der reumütige Boleslaus. Kein Wort kam über seine Lippen. Seine Geheimnisse nahm er mit ins Grab, auch jenes, dass sein Auge das schöne Stift von Ossiach niemals erblickt hat, sondern im fernen Ungarn gebrochen ist. König Orbàn wird’s freuen. Sein Bedarf an Devisen ist notorisch.
Zu büßen gibt es viel in dieser Welt, sinniert der Trainer. Selbst im heiligen Kärnten. Nur für den hinterhältigen Mord an jener Kärntner Sonne, die einst vom Himmel gefallen war, in Lambichl, nur zwei Radstunden östlich, auf der schönen Sattnitz, über dem noch schöneren Rosental, diese Todsünde hat, weiß der Trainer, bislang noch niemand gebüßt.
Und weil Unrecht besonders schmerzt, wenn es ungesühnt bleibt, hat man dem allerprächtigsten Herzog dieses Landes, dem fliegend verblichenen Junker Jörg, wie einst dem Boleslaus, ein denkwürdiges Denkmal gesetzt. Und ein Stoßgebet in den Himmel fahren lassen: Möge er sich doch zeigen, der Sünder, öffentlich, und Buße tun!
Das heimtückische Schlitzohr, das die Bremsschläuche angeschlitzt und den Mann des Volkes erschlagen hat, nicht mit dem Schwerte wie den Ladislaus, sondern mit einem sich überschlagenen Volkswagen, Marke Phaeton, hat sich bislang der Gerechtigkeit entzogen.
Aus welchen konspirativen Kreisen der ruchlose Mordbube kam, oder das Mördmädel, soviel Gendergerechtigkeit muss selbst in den genderphoben Kreisen dieser nimmermüden Fahnder sein, darüber können die informativen Täfelchen am Orte der kapitalen Untat nur spekulieren:
War es der Mossad, der ewig jüdelnde Geheimdienst? Oder die linkslinke Opposition, die den unaufhaltsamen Aufstieg des Kärntner Sonnenherzogs zum österreichischen Sonnenkönig ruchlos hintertreiben wollte? Oder gar ein Slowener aus Lambichl selbst, eingemeindet in vulgo Kotmara vas, dem man die, freilich völlig zu Unrecht eingeforderte, zweisprachige Ortstafel Jahrzehnte lang vorenthalten hatte? Auch Rachsucht, weiß der Kirchenvater an der Kanzel, ist eine Todsünde.
Die Aufklärung wird noch dauern, seufzt der Trainer. Selbst Justitia, beide Augen verbunden, hat sich weinend von diesem himmelschreienden Mangel an Einsicht abgewendet. Kaum ist sie noch zu sehen, am Gedenkort, überdeckt bereits von der üppigen Vegetation, die bekanntlich, und ganz besonders im fruchtbaren Kärnten, über alles wächst.
Wo bleibt die Moral? fragt der Trainer. Die Moral? Die Moral, weiß das Ferrarirote aus monatelanger Erfahrung mit dem Trainer, die bleibt, auch hier, wieder einmal, auf der Strecke. Also, Zutrauen, Trainer. Und aufgesessen! Wir haben immerhin noch eine gute Strecke nach Hause. Auf ihr werden wir sie ja wohl finden, die Moral!